ePub: Drachenhaut (German Edition)
erwiderte er dann. »Ich bin ein wenig enttäuscht von ihr. Ihre Anlagen haben Großes versprochen, aber das Kind scheint ein wenig zurückgeblieben zu sein.« Er lächelte ohne Wärme. »Sie ist sehr folgsam. Ihr fehlt das Temperament, das ihre Mutter in so hohem Maße ausgezeichnet hat, und die Wildheit ihres Vaters. Sie hat Verstand, aber sie benutzt ihn nicht. Sie lässt sich lenken und leiten von dem alten Mann, der ihr Schicksal besiegeln wird, ehe sie sich dessen bewusst ist.« Der Naga spitzte angewidert die Lippen. »Nun, vielleicht schlüpft der kleine Drache ja noch aus seinem Kokon. Es bleibt ihr allerdings nicht mehr viel Zeit dazu.«
Die Peri Banu beugte sich unwillkürlich vor und legte ihre Hand auf seine unruhig zupfenden Finger. Er schloss seine Hand um ihre, und beide saßen eine Weile schweigend da, ohne sich anzusehen.
Der blauhäutige Djinn erschien, wie er verschwunden war, ineiner Wolke, die allerdings dieses Mal grünlich schimmerte und nach frischen Äpfeln roch. Er beugte sich zum Ohr seiner Herrin und begann zu flüstern.
Der Naga sah, wie sich die Miene der Peri Banu mit jedem Wort weiter verfinsterte, bis sie die Hand hob und »Genug« rief. Der Djinn löste sich auf und die Fee kreuzte die Arme vor der Brust. »Du hattest natürlich recht«, sagte sie grollend. »Er ist inzwischen zum Jüngling herangewachsen. Ich habe ihn wohl ein wenig zu lange aus dem Blick verloren. Ach, diese kurzlebigen Menschlein!«
Der Naga erwog eine Handvoll Äußerungen, die er allesamt um des häuslichen Friedens willen wieder verwarf. »Sollen wir die Wette für nichtig erklären?«, fragte er in nüchternem Ton.
»Niemals«, fuhr die Peri Banu auf. »Du fürchtest wohl, dass du sie verlieren könntest? Nun, dann gib dich meinetwegen geschlagen.«
Der Naga schnaubte verächtlich. »Du träumst, meine Liebe«, erwiderte er kühl. »Dein Prinzchen endet entweder als Bettvorleger oder er stirbt, weil er in seiner Blödheit vergisst zu atmen. Ein anderes Ende unserer Wette sehe ich nicht. Du kannst mir meinen Preis ruhig schon angemessen einpacken lassen. Ich bevorzuge edles, besticktes Seidentuch als Umhüllung, umwunden mit einigen hübschen Kordeln und schmückenden Blumen aus deinem Garten.« Er lächelte unverschämt und erhob sich. »Ich darf mich nun empfehlen, Fürstin.«
Die Peri Banu richtete sich mit funkelnden Augen auf. »Wie, einfach so? Du willst mich wahrlich schnöde verlassen, nachdem du mir den ganzen Nachmittag gestohlen und verdorben hast? Ich verlange Genugtuung, böser Geist!«
»Ah, Genugtuung«, schnurrte Der Naga. »Ich stehe für eine Ehrensache selbstverständlich zur Verfügung, Herrin der Djinns.«
»Dann warte hier auf mich«, bestimmte die Fee. »Ich lasse uns noch einen Nachtisch bringen.«
»Mit Vergnügen, edle Peri Banu«, erwiderte Der Naga. Er verneigte sich geschmeidig und verharrte lächelnd in dieser Haltung, bis die Peri Banu den Platz verlassen hatte.
D UNKELMONDMAGIE
Wider Erwarten fühlte Lilya sich nach wenigen Tagen schon so heimisch und wohl im Serail, als hätte sie niemals an einem anderen Ort gelebt. Sie streifte durch die Gärten und hielt sich ganz besonders gerne in dem kleinen Granatapfelhain auf. Dort saß sie den ganzen Tag im Schatten unter den dicht belaubten Bäumen und las.
Wenn der Abend nahte, wurde die Freude, die sie empfand, allerdings dadurch getrübt, dass sie nun wieder für lange, quälende Stunden ihrem Großvater zur Verfügung stehen musste. Kobad hatte sie in den Tagen, die sie nun hier waren, noch weitaus schlimmeren, schmerzhafteren Prozeduren unterworfen als je zuvor. Lilya wurde bewusst, dass es ihr inzwischen nur noch sehr widerstrebend gelingen wollte, in Kobad den liebevollen, besorgten Baba zu sehen, für den sie ihn ihr ganzes Leben lang gehalten hatte.
Sie klappte ihr Buch zu und blickte zum Himmel, voller Sorge, er könne sich bereits zu verfärben beginnen. Die Abenddämmerung war die Zeit, zu der der große Gong als Zeichen für die abendliche Audienz geschlagen wurde. Er bezeichnete gleichzeitig den Beginn ihrer Sitzung mit Kobad.
Sie schauderte und zog das Schultertuch enger. Die gestrige Nacht hatte zum ersten Mal auch körperliche Spuren hinterlassen. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie in ihre Gemächer und ihr Bett gelangt war, aber als sie am späten Vormittag erwacht war, hatte sie dumpfe Schmerzen verspürt und blaurote Spuren wie von Fesseln an ihren Knöcheln und Handgelenken gefunden. Hatte der
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