Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
schleiche leise und vorsichtig durchs Zimmer, schiebe zwei Finger in die seidene Innentasche und befühle das Geldbündel. Ich werfe einen hastigen Blick auf Edwins Gesicht, stelle fest, dass er immer noch wie leblos daliegt, und ziehe das Bündel ein paar Zentimeter heraus. Das sind viele Fünfhunderter. Ich traue mich nicht nachzuzählen, gehe aber davon aus, dass Edwin die »günstigen Sachen« mit einem reichlichen Gewinn verkauft haben muss.
Was um alles in der Welt treibt er da?
Sollte ich ihn darauf ansprechen oder ist das Mamas Sache?
Meine Gedanken schwirren zwischen Klamotten, elektronischen Geräten und Autos, Menschenhandel und Drogendealerei hin und her. Um etwas zu kaufen, das man weiterverkaufen kann, braucht man Geld. Hat er sich deswegen was geliehen?
Ich gehe zurück zu meinem Bett, setze mich auf die Kante und versuche zu denken.
Aber mein Kopf ist zu voll von meinen eigenen Sorgen, meiner eigenen Dummheit. Da ist kein Platz für die Probleme meines kleinen Bruders.
Edwin und ich haben uns nie besonders nahegestanden. Jedenfalls nicht nach der Scheidung. Irgendwie haben wir wohl doch jeder eine Seite gewählt. Verlangt hat das niemand, im Gegenteil, Mama und Papa haben sich, glaube ich, echt angestrengt, uns das Gefühl zu geben, dass wir beide ihre Kinder sind, genau wie vorher. Und sie beide unsere Eltern. Das hat nicht geklappt. Aber vielleicht war es auch vorher nicht so, ich bin nicht sicher. Eigentlich habe ich mich das auch nie gefragt, bis jetzt.
Mamas Junge und Papas Mädchen.
Aber es gab auch Zeiten, in denen Mama mir näher war als Papa. Ganz früher, als Mama hauptsächlich Stimme, Duft und Hände war. Bevor Edwin geboren wurde.
Soll ich Mama anrufen und ihr sagen, dass Edwin hier ist?
Aber dann springt sie garantiert in ihren blauen Citroën und steht zehn Minuten später vor der Tür. Und Edwin wüsste sofort, dass ich gepetzt habe. Ich kann mir vorstellen, dass er keine Lust hat, ihr in seinem mehr bewusstlosen als lebendigen Zustand gegenüberzutreten, wahrscheinlich hat er deshalb erst einmal bei mir Zwischenstation gemacht.
Ich sitze tief in Gedanken versunken auf meiner Bettkante und schrecke hoch, als das Piepsen meines Handys den Eingang einer SMS verkündet. Ich öffne die Mitteilung.
Hab den ganzen Tag an dich gedacht. Hoffe, du bist okay. Ellinor kommt gegen sieben nach Hause. Bis dahin muss ich mich wieder sortiert haben. Pass auf dich auf. Umarmung /A
Mein Herz fängt an zu pochen, als hätte es mehrere Stunden stillgestanden, ohne dass ich es gemerkt habe. Ich streiche mit dem Zeigefinger über das Display, über die kalte, glatte Oberfläche über den Buchstaben.
Adrian, Adrian, Adrian.
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Soll ich ihm Glück wünschen? In mir prallen Sehnsucht, Angst und eine wirre Wut aufeinander. Was meint er mit okay ? Warum sollte ich nicht okay sein ? Auch wenn ich heute nicht in der Lage war, zur Arbeit zu gehen. Das ist wahrscheinlich nicht ganz okay , nehme ich an.
Wieso werde ich eigentlich so wütend? Ich bin offenen Auges ganz allein da hineingerannt, habe ihn in mein Leben gelassen, wohl wissend, dass er jederzeit wieder verschwinden konnte. In mein Leben, mein Bett und meinen Körper habe ich ihn gelassen. Wenn nicht noch mehr. Ich habe ihn geradewegs hineinge zogen . Worüber beschwere ich mich also?
Jetzt heißt es, die Scherben zusammenzukehren und nach vorn zu schauen.
Ich will auf keinen Fall, dass er womöglich auf die Idee kommt, Ellinor meinetwegen zu verlassen. Natürlich will ich Ellinor das nicht antun. Und natürlich will ich mir nicht antun, diejenige zu sein, die Ellinor das angetan hat. Das würde mir keiner je verzeihen. Am allerwenigsten ich selbst.
Aber deswegen tut es nicht weniger weh.
Vielleicht bin ich deshalb so wütend.
Und weil ich nicht weiß, ob es für ihn genauso schmerzhaft ist wie für mich. Vermutlich nicht. Wahrscheinlich war er heute wie immer bei der Arbeit, und wahrscheinlich findet er es ein bisschen ärgerlich, wegen Ellinor auf mich verzichten zu müssen. Ungefähr so wie mit dem Motorrad.
Das schaffst du schon. Bis irgendwann vielleicht. /E
Das klingt ziemlich verbittert.
Dabei habe ich eigentlich überhaupt keinen Grund, verbitterte SMS an ihn zu schreiben. Ich schicke sie trotzdem weg. Bringe heute einfach kein Verständnis auf.
Ein Ziehen im Bauch erinnert mich daran, dass ich was essen sollte. Aber auch dazu fehlt mir die Kraft. Stattdessen verkrieche ich mich wieder
Weitere Kostenlose Bücher