Er lockte mit dem Jenseits
die Katze lauernd an einer Torte vorbeistrich, so passierte er das Messer. Die schrecklichen Vorstellungen wollten nicht aus seinem Kopf weichen, aber er dachte auch nicht daran, aus der Wohnung zu flüchten. In ihm steckte eine Uhr, die ihn dazu zwang, immer wieder die gleiche Runde zu drehen.
Der Schrei löste sich aus seinem Mund, als er stehen blieb. Das passierte nicht grundlos, denn plötzlich drehte sich das Messer um die eigene Achse. Es schien angestoßen worden zu sein, aber da war niemand, der das getan haben könnte.
Es war der Anfang, das wusste Mike, und er hatte sich nicht getäuscht, denn plötzlich hob das Messer ab.
Mike erstarrte geschockt. Schreckliche Gedanken huschten durch seinen Kopf. Wenn sich das Messer drehte und auf seine Kehle zeigte, dann hatte er nicht die Spur einer Chance. Plötzlich dachte er an Flucht. Er wollte, nein, er musste schneller sein als das verdammte Messer.
Bis zur Tür war es nicht weit, aber auch nicht eben nah. Er wollte sie mit schnellen Sprüngen erreichen, schaffte es auch, schaute sich nicht nach der Klinge um, stolperte in den Flur hinein und hörte seinen eigenen Atem wie das Keuchen einer altersschwachen Maschine.
Er schaffte es.
Im Flur prallte er beinahe gegen die Wand, aber das störte ihn nicht weiter. Der Dreh zur Haustür erfolgte automatisch und...
Das Messer war da.
Nicht nur es.
Auch Barbara Evans!
Sie war aus dem Nichts erschienen, stand mit dem Rücken zur Wohnungstür und hielt die Waffe in der Hand...
***
Keinen Schritt mehr weiter. Für Mike Dublin war Endstation. Man würde ihn nicht gehen lassen, aber er hätte sich nie träumen lassen, von Barbara mit dem Messer bedroht zu werden.
War sie das überhaupt?
Es gab daran keinen Zweifel. Sie war es tatsächlich. Sie stand da und hielt die Waffe in der rechten Hand. Die Spitze der Klinge wies auf Mike Dublin, der nicht in der Lage war, etwas dagegen zu tun. Das Messer wurde in den folgenden Sekunden auch mehr oder minder unwichtig. Ihm ging es nur um die Frau, die sich zwischen ihm und der Tür aufgebaut hatte.
Wer war sie? Konnte man sie noch als einen Menschen ansehen, oder gehörte sie zu denen, die dem entgangen waren? Hatte das Jenseits sie bereits gezeichnet?
Sowohl als auch. Das blonde Haar mit den mahagonifarbenen Strähnen war nach wie vor vorhanden. Das Gesicht mit den hohen Wangenknochen ebenfalls. Der volle Mund und der weiche Schwung des Kinns. Hinzu kamen die Augen mit ihrem sanften Ausdruck, das alles passte wunderbar. Und trotzdem sah sie anders aus.
Sie vibrierte leicht. Wenn er genau hinschaute, sah er es an den Umrissen von Kopf und Körper. Da war eine gewisse Unruhe entstanden, die auch so schnell nicht verschwinden würde. Sie atmete nicht, aber es gab noch den Geruch des Parfüms, das er so gemocht hatte.
Er schloss für einen Moment die Augen. Vielleicht war das alles gar nicht wahr. Unter Umständen bildete er sich zum zweiten Mal etwas ein. Er wünschte es sich, doch als er die Augen wieder öffnete, da stand sie noch immer vor ihm, und er sah sogar das Lächeln auf den weichen Lippen.
Plötzlich war Mike in der Lage, eine Frage zu stellen.. Die Worte rutschten ihm wie von selbst über die Lippen. »Was willst du? Wo kommst du her?«
»Ich war weit, weit weg...«
»Ja, das weiß ich. Und jetzt?«
»Ich mag dich auch, Mike.«
Er wusste beim besten Willen nicht, ob er dies als ein Kompliment ansehen sollte. Deshalb fiel seine Reaktion etwas verhalten aus und bestand nur aus einem Grinsen.
»Ja, ich mag dich.«
»Und weiter?«
»Ich will von dir das Gleiche hören.«
Mike antwortete zunächst nicht. Er glaubte, dass kleine Sägen seinen Kopf durchschnitten und ihn in mehrere Teile zerlegten. Er mochte Barbara, er hatte sie gemocht, aber jetzt war er sich nicht sicher, ob er das weiterhin behaupten konnte.
»Bitte, Babs, bitte, das ist alles so anders für mich geworden, was auch du begreifen musst. Ich gehe davon aus, dass du nicht mehr die Gleiche bist. Auf dem Dach bist du verschwunden. Du hast vom Jenseits gesprochen und warst dann weg. Und jetzt bist du wieder da. Ich... ich... weiß nicht mal, ob ich dich anfassen soll, denn ich habe Angst vor dir. Ich sehe dich und das Messer und...«
»Willst du nicht?«
Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Quäl mich bitte nicht. Bitte...
»Manchmal muss man eben nachhelfen«, hörte er sie sagen. »Es gibt Menschen, die zu ihrem Glück gezwungen werden müssen, und genau das ist hier der Fall.
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