Er trank das ewige Leben
Stuhlreihen waren mehrere Fackeln in den Boden und zwischen die unebenen Steine gerammt worden. Noch brannten keine, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis zum Einbruch der Dämmerung und bis zum Start. Im Hintergrund waren auch zwei große Standscheinwerfer aufgebaut worden. Zwei Männer beschäftigten sich mit ihnen. Sie ließen sie aufleuchten, stellten sie ein und waren zufrieden. Die Scheinwerfer wurden durch einen Akku gespeist.
Die alten Mauern rahmten diesen Innenhof ein. An verschiedenen Stellen führten noch die alten Steintreppen hoch, wobei einige von ihnen durch Eisengeländer gesichert waren. Man konnte das Mauerwerk durchschreiten, gelangte an die Außenseiten der Burgreste oder in alte Zimmer und Kemenaten, von denen aus der Blick bis weit über das Land fiel.
Auf den Stühlen hockten bereits einige Zuschauer. Man konnte sich hinsetzen, wo man wollte, denn hier galt das Gesetz: Wer zuerst kommt, der malt zuerst.
Die ersten vier Reihen waren bereits besetzt. Wir schoben uns in die fünfte hinein. Zuerst Suko, dann folgte Shao, Glenda ging hinter ihr, den Schluß bildete ich. Wir hatten die Reihe vom Mittelgang her betreten und besetzten die ersten vier Stühle nach innen zu.
Die beiden Frauen und Suko hatten ihre Plätze rasch eingenommen. Ich stand noch und schaute mich ein letztes Mal um. Meine Blicke glitten links an der Innenmauer entlang, wo nicht nur zahlreiche Steine vorstanden, als sollten sie einem Menschen als Kletterhilfe dienen, sondern ich auch in eine Nische hineinschauen konnte.
Ich wußte nicht, ob sie an der Rückseite einen Abschluß hatte. Sie lag in einem grauen Dämmerlicht, und in der Nische bewegte sich etwas.
Ich wartete.
Sekunden vergingen. Shao und Glenda sprachen leise mit Suko, während ich noch auf die Nische fixiert war.
Wieder bewegte sich das Dämmer, dann sah ich eine Gestalt, die sich vorschob. Ein helles Gesicht – und… Das war er, das war Mephisto!
»Bin gleich wieder da!« sagte ich zu meinen Freunden und verließ die Reihe.
***
Mephisto war von niemandem gesehen worden, als er von außen an der Wand in die Höhe geklettert war. Trotz seiner Behinderung bewegte er sich sehr geschickt.
Es gelang ihm, einen schmalen Sims zu erreichen und sich dort hinzuhocken, die rechte Schulter hart gegen das Gestein gedrückt. Er wartete zunächst ab, weil er nach einem Weg suchte, um über ihn in den Innenhof zu gelangen.
Sein Auftritt würde erst später kommen. Bis dahin hatte er Zeit, viel Zeit.
Sein Durst war groß. Das ewige Leben in ihm schien allmählich zu zerrinnen. Er brauchte frisches, nickte vor sich hin und schaute schräg nah oben.
Es war keine Täuschung gewesen. Dort befand sich tatsächlich eine Öffnung. Ein Mensch paßte gerade noch hindurch.
Er kletterte jetzt schräg, fand immer wieder Halt und schob sich in die Nische und wartete zunächst ab.
Der Standort gefiel ihm nicht, denn von dort konnte er nicht alle Besucher sehen, deshalb schob er sich näher an den Ausgang des Törchens heran.
Um seinen breiten Mund huschte ein Lächeln. Ja, hier oben war ein guter Platz. Er konnte jetzt voll in den Innenhof hineinschauen, und es gab so gut wie keinen toten Winkel. Er sah die schon relativ gut besetzten Reihen, die sich in den folgenden dreißig Minuten sicherlich weiter füllen würden, denn dann startete das Spektakel.
Sie kamen. Sie freuten sich. Sie waren leicht herzulocken. Grusel und Angst, vermischt mit einer grauen Finsternis, zog immer. Da machten auch die modernen Menschen keine Ausnahme. Das hatte sich in vielen Jahren nicht geändert.
Da kamen Frauen, Männer, aber auch Kinder, die einen besonderen Kick erleben wollten. Gerade die Jungen und Mädchen hatten ihren Spaß, und sie heulten fast immer auf, wenn sie durch das Tor schritten, um dem schaurigen Echo ihrer Stimme zu lauschen.
So stimmten sie sich ein, und sie würden den echten Horror bald erleben.
Als Mephisto daran dachte, mußte er nicken, doch inmitten der Bewegung hielt er inne.
Etwas störte ihn.
Er wußte nicht, was es war. Natürlich war seine Gier gestiegen. Da unten waren die Körper zu sehen, in denen sein ewiges Leben floß. Das machte ihn beinahe verrückt. Sein Mund verzerrte und öffnete sich, so daß er seine mächtigen Zähne zeigte, während er sich gierig umschaute.
Die Zähne schimmerten wie weiße, spitze und wohlgefeilte Knochen. Sie lechzten danach, sich in Fleisch schlagen zu können. Schließlich war er nicht nur irgendein Blutsauger, er
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