Er trank das ewige Leben
Frösche und Unken quakten. Es raschelte im hohen Gras. Ein Pfeifen war zu hören, das klang, als hätte jemand auf einer Knochenflöte geblasen, das aber von einem weiter entfernt stehenden Vogel stammte.
Unheimlich war es.
Und es wurde schlimmer, je mehr das Tageslicht verschwand, die Sonne sich zurückzog, blasser wurde und dabei ein intensives Rot annahm, das den Himmel im Westen blutig machte.
Manchmal wehte so etwas wie ein Wind auf, der aber keine Frische brachte, sondern den Geruch eher noch verstärkte und Marek das Gefühl gab, all die Pestilenz einzuatmen, die in dieser allmählich vor sich hin sterbenden Landschaft steckte.
Hier hatte der Tod seine Heimat bekommen. Hier herrschte er über die Menschen und würde irgendwann alles ausgelöscht haben. Das kleine Dorf war längst hinter den Männern zurückgeblieben. Sie hörten keine fremden Geräusche, und als sich Negru einmal umdrehte, da fragte Marek. »Wie weit müssen wir noch laufen?«
Sein Freund blieb stehen. »Wir sind so gut wie da.«
»Ach ja?« Er nickte.
Marek wollte es genau wissen. Negru schaute zu, wie der Pfähler das Vampirpendel hervorholte, das obere Ende des Bandes festhielt und den ovalen Stein mit dem darauf abgebildeten Gesicht nach unten durchhängen ließ. Keiner der Männer sprach, aber beide schauten auf den Stein, der nicht lange ruhig blieb, sondern mit sanften Pendelbewegungen anfing. Zugleich veränderte sich das Gesicht. In die Augen trat ein rötliches Flimmern, der Mund schien zu zucken, was aber auch an den Schatten liegen konnte, die über das Pendel hinwegglitten.
Es schlug in eine Richtung besonders stark aus. Von den beiden Männern aus gesehen, war es die linke, und Marek fragte: »Müssen wir vielleicht dorthin?«
»Ja, mein Lieber.«
»Alles klar.«
Für Negru nicht. Er traute sich nicht, das Pendel anzuhalten, sondern zeigte darauf. »Was ist es, Frantisek? Was hast du da?«
»Nur ein Pendel.«
»Nur?« Negru lachte nervös. »Nein, das glaube ich nicht. Es ist nicht nur ein Pendel.«
»Was sollte es denn sonst sein?«
»Ich weiß es nicht genau.«
»Laß uns gehen.«
»Du willst nicht darüber sprechen, wie?«
»Bitte.«
»Gut.« Negru ging wieder vor. Er schlug tatsächlich die linke Richtung ein, denn dort standen die Bäume noch dichter. Sie bildeten so etwas wie einen Wald, bei dem die Lücken nicht sehr groß waren. Hier drängten sich die Bäume zusammen, als wollten sie sich gegenseitig Schutz bieten. »Wir sind gleich da, Frantisek.«
»Das muß auch so sein. Sonst wird es zu dunkel.«
»Ich habe eine Taschenlampe eingesteckt.«
»Ausgezeichnet.«
Noch brauchten sie die Lampe nicht. Sie sahen das Ziel zwar nicht, aber sie hörten bereits die Geräusche, die ihnen so fremd und unheimlich entgegenklangen.
Es war kein Heulen der Wut oder Schreie nach Menschenblut. Marek vernahm ein Ächzen, er hörte auch das Zischen und Knirschen. Weil diese Laute aus dem Halbdämmer an ihre Ohren trafen, hörten sie sich noch unheimlicher an.
»Das sind sie«, wisperte Negru. »Das sind meine Töchter. Sie warten auf uns. Sie riechen bereits das frische Blut. Aber ich habe mich abgesichert, uns abgesichert.«
»Und wie?«
»Du wirst es sehen.« Negru ging geduckt vor.
Erräumte sich den Weg durch sperriges und zugleich feuchtes Unterholz frei, und im letzten rötlichen Licht des Tages sah Marek, was der Vater mit seinen Töchtern getan hatte.
Er hatte sie gefesselt. Er hatte ihnen die Glieder gespreizt. Er hatte sie schräg an zwei nebeneinanderstehende Bäume gebunden und die Stricke um starke Äste geschlungen. Und er hatte die Körper zudem noch in dunkle Tücher gehüllt, so daß die beiden Gestalten wie zwischen dem Geäst festgeklebte Schatten wirkten.
Negru war stehengeblieben. Auch Marek trat jetzt dichter an ihn heran.
Er hielt den Pfahl fest, zog ihn aber noch nicht, sondern schaute auf das Geschehen.
Sie lebten. Sie bewegten sich unter den Tüchern, ohne sie lösen zu können, weil sie zu stark verknotet waren. Auch die Gesichter waren nicht zu sehen, und Negru hob mit einer hilflos anmutenden Bewegung beide Schultern.
»Warum hast du das getan?« fragte Marek.
»Was hätte ich sonst machen sollen? Ich wollte sie verstecken, und ich dachte auch, daß das Licht der Sonne sie zerstören würde. Aber das ist nicht geschehen.«
»Es ist gefährlich gewesen. Stell dir vor, dieser Mephisto wäre erschienen und hätte seine beiden Dienerinnen befreit.«
»Daran habe ich nicht
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