Er war ein Mann Gottes
diesen einen Tag hatte ich mir heftig erstreiten müssen, obwohl ich damit im Grunde nichts wollte, als meine Mutter zu entlasten. Da meine Kochkünste nach einem halben Jahr noch immer nicht gewürdigt wurden, ließ ich den Fastfood-Ser-vice kommentarlos einschlafen. Es krähte kein Hahn danach.
»Na, ja, meine Mutter hat’s auch nicht so gern, wenn wir kochen«, meinte Franziska. »Sie hat immer Angst, dass wir die Sachen verderben. Wie mein Vater dann gucken würde, wenn er nach Hause käme und es wäre nichts Gescheites zu essen da.«
»Gut, das könnte ich ja einsehen.« Ich schob mir einen Kaugummi in den Mund und bot Franziska auch einen Streifen an. »Aber weshalb lässt sie mich dann nicht mal mein eigenes Zimmer sauber machen? Etwa, weil das Putzmittel so teuer ist?«
Franziska lachte. Sie hatte schon miterlebt, wie ich mir mit Staubsauger und Mopp die größte Mühe gegeben hatte und kein Stäubchen mehr zu sehen war und meine Mutter mir trotzdem hinterherwienerte und garantiert irgendwo noch einen Fussel fand.
»Jeden Samstag schmeißt sie mich aus dem Bett, weil sie Ordnung machen will, obwohl sie erst freitags geputzt hat.« Ich fand das überhaupt nicht komisch.
»Ja, ja, ich weiß.« Franziska ahmte die Stimme meiner Mutter nach: »Die feine Dame kann das ja selber nicht!«
Diesen Satz habe ich wirklich gehasst.
Als ich mich bei meinem Vater darüber beschwerte, meinte er: »Reg dich nicht auf. Lass die Mama nur immer machen. So lange es ihr wohl dabei ist, ist alles gut.«
Also gab ich es auf, ihr helfen zu wollen. Es hatte ja etwas für sich, nicht helfen zu müssen.
Sicher hätte ich die Sache mit der Hausarbeit weniger tragisch genommen, wären da nicht auch die Gelegenheiten gewesen, bei denen ich außerhalb des Hauses als unfähig vorgeführt wurde. Damals zum Beispiel, als ich den Turnbeutel einer Klassenkameradin aus dem dritten Stockwerk in den Schulhof geschmissen hatte.
Tagelang hatte das Mädchen mich gepiesackt. »Cora, das verrückte Huhn! Gackert blöd und will nichts tun. Gagagagack!« Ich hasste es, wenn sie mich so nannte und verspottete. «Lass das! Das ist gemein. Hör auf damit!«
An diesem Morgen war mir der Geduldsfaden gerissen. Also flog der Beutel raus und ein paar Sachen darin zerbrachen.
Ich bereute es nicht. Trotzdem verlangte mein Vater, dem ich meine Missetat gestanden hatte, dass ich die Sache aus der Welt räumen und mich bei dem Mädchen entschuldigen solle. Ich brauchte Stunden, ehe ich mich schließlich überwinden konnte und mich meinem Vater zuliebe auf den recht weiten Weg machte.
Es war wirklich hart für mich, bei dem Mädchen klingeln und Abbitte leisten zu müssen: »Du, ich war echt bös zu dir. Es tut mir leid. Ich zahl dir vom Taschengeld, was kaputtgegangen ist.« Und dann schaute sie mich bloß mit einem spöttischen Grinsen an und meinte: »Ja, wieso kommst du deswegen jetzt noch? Du kannst gleich wieder gehen. Dein Vater hat das doch schon alles mit meiner Oma geregelt.«
Es ging nicht nur darum, dass ich mich vor dem Mädchen lächerlich gemacht hatte, weil ich nicht einmal wusste, dass mein Vater sich bereits eingemischt und die Sache bereinigt hatte. Das Schlimmste war, dass ich mich von meinem Vater hintergangen fühlte. Ich verstand nicht, wieso er mich nicht mit einbezogen hatte. Warum hatte er die Sache nicht gemeinsam mit mir geregelt?
Es tat so weh, dass ich von diesem Mädchen erfahren musste, dass mein Vater mich in dem Glauben gelassen hatte, mir nicht beistehen zu wollen. Wie stellte er mich dadurch dar? Als eine, mit der nicht mal der eigene Vater redete.
Vielleicht war es ja sogar in bester erzieherischer Absicht geschehen. Aber wie konnte ich als Kind verstehen, dass er mich so in meiner Selbständigkeit und Eigenverantwortung bestärken wollte? Noch weniger konnte es mir einleuchten, dass er mich durch seine heimlichen Abmachungen mit der Großmutter beschützen wollte, indem er vorab sicherstellte, dass ich mit meiner Entschuldigung auch angenommen würde.
Mein Vater wiederum ahnte wohl nie, wie wichtig es für mich war, Sicherheit darin zu haben, dass er zu mir steht, komme, was da wolle. Statt mich in seiner Fürsorge geborgen fühlen zu dürfen, musste ich glauben, er habe mich bewusst ins Messer laufen lassen. Und warum? Die einzige Antwort darauf konnte sein: Nur, weil er mir nichts zutraute. Auch er nicht.
Von meiner Mutter erwartete ich nicht wirklich, dass sie mich ernst nehmen und anerkennen würde. Ich
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