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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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Eltern davon gewusst, wären beide auf die Barrikaden gegangen. Vor allem hätten sie nicht nur mir, sondern Frederic die Hölle heiß gemacht. Womöglich hätten sie Herrn Pfarrer Punktum und den Kirchengemeinderat hinzugezogen und dafür gesorgt, dass die Pilgerfahrt nach Assisi ins Wasser fallen würde oder zumindest ich nicht daran teilnehmen dürfte.
    Also hieß es schweigen. Obwohl ich zu gern ein bisschen mit meinem nächtlichen Besuch bei Frederic angegeben hätte, erfuhren nicht einmal die anderen »Minis« etwas davon.

Der Alkohol erlaubt uns Nähe

    Der Alkohol begann bei unseren Treffen eine immer größere Rolle zu spielen. Frederic wusste schließlich nur zu genau um die Wirkung des Alkohols. Schließlich erlag er ihm immer wieder selbst.
    Wann immer ich ihn dabei beobachtete, hatte ich Angst, dass er nicht unser neuer Pfarrer werden würde, wenn alle in der Gemeinde wüssten, dass er öfter mal betrunken war.
    »Ach, Dummerchen!« Frederic hatte gelacht, als ich ihm das erste Mal gestand, wie viel Sorgen ich mir um ihn machte. »Wer trinkt denn nicht mal ein bisschen zu viel. Dein Papa macht es, der Herr Pfarrer, der Herr Bürgermeister, sogar deine Mutter und ich eben auch.«
    »Aber ist es denn keine Sünde?«, traute ich mich zu fragen.
    »Nur, wenn man sich absichtlich volllaufen lässt. Wenn man ein bisschen trinkt und gar nicht will, dass man betrunken wird, und auf einmal ist man es doch, weil man gar nicht gemerkt hat, wie es passiert, ist es keine Sünde.« Frederic ging mit den Händen auf dem Rücken hin und her, wie in der Schule vor der Tafel. »Jedenfalls keine große Sünde. Höchstens eine kleine, eine lässliche Sünde. Die verzeiht der liebe Gott immer sofort«, sagte er und zwinkerte mir dabei zu.
    Ich blickte wohl zweifelnd, denn er lachte und griff mir unters Kinn. »Jetzt zieh nicht so ein Gesicht wie die Kuh, wenn’s donnert. Ich bin dein Herr Vikar. Ich werde ja wohl wissen, was eine große und was eine kleine Sünde ist. Meinst du nicht auch?«
    »Ja, Herr Vikar«, stammelte ich. »Ja, Frederic.«
    Von diesem Gespräch an hatte ich kein schlechtes Gewissen mehr wegen des Eierlikörs. Vielmehr fühlte ich mich geschmeichelt und aufgewertet, weil Frederic mir Alkohol anbot. Er behandelte mich wie eine Erwachsene. Ich war begeistert.

    Ganz bewusst legte unser Herr Vikar mit diesem ersten Glas den Grundstein für meinen von nun an systematisch steigenden Alkoholkonsum. Schon bald galt ich in meinem sozialen Umfeld als »die mit dem Alk-Problem« .
    Mein »Alkoholproblem« rechtfertigte es umso mehr, dass er sich ganz offiziell und für jedermann sichtbar in besonderem Maße um mich kümmerte. Jeder konnte ja sehen, dass er einer labilen Jugendlichen seelsorgerischen Halt gab und mich mit Hilfe Gottes zum Besseren zu wandeln versuchte. Weder der strenge Herr Pfarrer Punktum noch meine Eltern konnten dagegen etwas einzuwenden haben. Im Gegenteil, es zeichnete unseren Vikar doch nur aus, wenn er sich in seiner kargen Freizeit aus reiner Nächstenliebe einem armen, gestrauchelten Gottesgeschöpf wie mir widmete und mir seine Tür zu jeder Tages- und Nachtzeit in selbstloser Liebe öffnete. Niemand schöpfte jemals Verdacht gegen ihn.
    Diesen Zusammenhang erkannte ich damals zwar nicht, aber ich merkte, dass Frederic sich immer dann besonders um mich kümmerte, wenn ich »schwierig« war. Wie schon zu Hause bei meinen Eltern oder in der Schule erlebte ich auch bei ihm, dass ich dann wahrgenommen wurde, sobald ich nicht »richtig« funktionierte.
    Getreu diesem bereits bekannten Muster steigerte ich meine Kapriolen und »Verrücktheiten«, indem ich immer noch eins draufsetzte. Bald schon trank ich nicht mehr nur heimlich mit Frederic zusammen, sondern überall. Kurz danach begann ich zu rauchen, dann zu kiffen. Ich trieb mich bis tief in die Nacht in Kneipen herum und verleitete meine Freundinnen zum Mitmachen. So wurde ich zum Schreckgespenst gutbürgerlicher Eltern, die ihren Töchtern den Umgang mit mir verboten.
    Der Erfolg rechtfertigte die Mittel, denn je mehr ich aufdrehte, umso intensiver durfte Frederic sich mir zuwenden, ohne dass jemand etwas dagegen einwenden konnte. Er war schließlich mein Seelsorger. Es war nur rechtens, dass er mir ins Gewissen reden und meine arme Seele retten wollte. Doch dies alles war an jenem ersten Abend noch weit entfernt.

Die Musik erlaubt uns Nähe

    Es tut weh, wenn ich an das Mädchen, das ich damals war, denke. Ich war so offen für das

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