Er war ein Mann Gottes
auch eines von mir.«
Schließe ich die Augen, sehe ich Frederics Gesicht von damals immer noch vor mir. Überrascht, fast ungläubig, mit einem winzigen Zucken im Mundwinkel starrte er mich eine Sekunde lang an, als habe er mich noch nie zuvor richtig wahrgenommen. Dann lachte er plötzlich amüsiert auf, nahm mir »Schnapp!« das Passbild aus der Hand. Als er bereits in der Schiebetür zum Gang stand, meinte er über die Schulter hinweg: »Wenn wir wieder daheim sind, schenk ich dir eins. Komm einfach zu mir ins Pfarrhaus, dann kriegst du es.«
Die anderen redeten und kreischten durcheinander. »Ich will auch eins!«, »Ich komm auch zu dir!« Estefania rannte bettelnd durch den Gang hinter ihm her.
Das Klappern ihrer offenen Pantoletten, die Stimmen und Sprüche ringsum, mein eigenes Lachen, alles rauschte an mir vorbei. Ich hörte es, merkte mir sogar die Worte. Trotzdem war ich wie betäubt. Ich sollte zu ihm ins Pfarrhaus kommen. Zum zweiten Mal. Er wollte mir ein Passbild schenken. Estefania hatte er keines versprochen und erst recht keines geschenkt. Meines hatte er genommen, ihres nicht. Was bedeutete das? Sollte mein Horoskop recht haben?
Ich hatte es am Morgen vor der Abreise in der Zeitung gelesen, ausgeschnitten und in mein Tagebuch geklebt: »Schau dich um. Jemand in deiner Nähe ist scharf darauf, dich besser kennen zu lernen. Besonders dann, wenn du Ferien hast. Ein Herzenswunsch wird dir jetzt oder in nächster Zeit erfüllt.«
Ich war im Urlaub. Mein Herzenswunsch galt einem wahren Freund. Sollte er mir wirklich jetzt erfüllt werden? Wollte Frederic mich besser kennen lernen? War mit diesem »jemand« wirklich er gemeint?
Reiseimpressionen
Ehe wir nach Italien aufbrachen, hatte Frederic uns über Franziskus von Assisi informiert. Daher wussten wir, dass er 1182 als Sohn eines reichen Tuchhändlers in Assisi geboren und auf den Namen Johannes getauft worden war. Wegen seiner Vorliebe für die französische Sprache und das höfische, ritterliche Leben erhielt er als Jugendlicher den Spitznamen »Francesco«, kleiner Franzose, der später, ins Lateinische übertragen, zu Franziskus wurde.
Ich hatte bei Frederics Vorträgen und Dia-Abenden sehr gut aufgepasst. Ich konnte den Text fast auswendig und sagte ihn mir in Gedanken auf, während ich mich in den Zugsitz schmiegte und vor mich hindöste:
»Nach Kriegsgefangenschaft im Freiheitskampf der Bürger von Assisi gegen Perugia und schwerer Krankheit, die ihn an der Teilnahme an einem Kreuzzug hinderte, erfuhr er seine Berufung durch Gott. Von seiner übermäßigen Begeisterung für das Rittertum geheilt, zog er sich als Einsiedler aus dem gesellschaftlichen Leben, dem Kriegshandwerk und von den Gütern seines Vaters zurück. Asketisch und pazifistisch zugleich, verschrieb er sich einem Leben in Armut, für die Nächstenliebe und die christliche Mission.
Nach der Gründung mehrerer Orden und Klöster begab er sich als Wanderprediger auf Missionsreise. So wurde er wegen seiner »süßen Reden« in Südfrankreich als »Troubadour-Minnesänger Gottes« verehrt. Und in Ägypten wollte er dem Sultan durch eine Feuerprobe beweisen, dass er den rechten Glauben besitze. Dabei trat er so überzeugend auf, dass der Herrscher auf die Feuerprobe verzichtete, um seinen eigenen Gott nicht auf die Probe zu stellen.
Weitere Ordens- und Klostergründungen folgten. Erst nach seinem Tode im Jahr 1226 entdeckte man, dass Franziskus so tief vom Leidenserlebnis Christi am Kreuz durchdrungen war, dass er die Wundmale des Gekreuzigten am eigenen Leibe trug. Sein Leichnam wurde in Assisi bestattet. Zwei Jahre später heiliggesprochen, wurde über seinem Grab die nach ihm benannte Kirche San Francesco errichtet.«
Mit unserer Pilgerfahrt auf den Spuren des heiligen Franziskus wollten wir Ministrantinnen und Ministranten nicht nur die wundervollen Städte und die Landschaft Umbriens, in denen er gelebt hatte, sondern auch sein Wirken kennen lernen. Frederic hatte uns die Legenden nahegebracht, in denen die sanftmütige Demut des Heiligen gegenüber allen Menschen und Kreaturen gerühmt wurde. Wie wir vor allem aus seinem »Sonnengesang« und der »Vogelpredigt« erfuhren, war ihm alles als Schwester und Bruder lieb und willkommen, auch Sonne, Mond und selbst der Tod.
Auf den Abbildungen, die Frederic uns aus Büchern und auf Dias mitbrachte, sahen wir jedoch keinen Klosterbruder wie aus der freundlichen Bierwerbung, sondern einen hageren, hohlwangigen Mann in einer
Weitere Kostenlose Bücher