Er war ein Mann Gottes
Bewunderung eintrug.
Die Zigarette in der Hand, vom Alkohol enthemmt, immer einen flotten Spruch in petto, den Haustürschlüssel meines Elternhauses in der Tasche und das Wissen im Kopf, dass niemand mein Heimkommen kontrollieren würde, wirkte ich mit meinem neuerdings bubikopfkurzen Haarschnitt weit älter, als ich war. Frederic fand, ich sähe super aus.
Selbst meine brave Franziska zog ich mit und brachte sie dazu, sich zusammen mit mir volllaufen zu lassen, während ihre Eltern sie sicher behütet bei ihrer Cousine und fern der bösen Cora O. wähnten, vor der verantwortungsvolle Mütter ihre Kinder warnten, als handele es sich um die weibliche Inkarnation vom Schwarzen Mann.
Franziska wusste, dass ich sie um ihre heile Familie beneidete und alles dafür gegeben hätte, wären meine Eltern streng und konsequent und mir so aufmerksam zugewandt gewesen, wie es ihre Eltern waren. Wie oft kam ich nur deshalb mit ihr nach Hause und blieb über Nacht und zog ihre Bettdecke um mich, als sei es das goldene Vlies, weil das Leben bei ihnen nicht so schrecklich still und wie im Schongang ablief.
In Franziskas Elternhaus gab es zum Beispiel keine Gardinen oder Rollläden wie bei uns, die bei Einbruch der Dunkelheit oder zu einer bestimmten Uhrzeit heruntergelassen werden mussten und die Welt aussperrten. Das ganze Haus schien mit strahlenden Augen ins Leben zu schauen. Ebenso strahlend, so offen waren auch die Menschen, die darin wohnten. Da wurde gelacht und gescherzt, miteinander geschwatzt und gespielt, Hausmusik gemacht, gestritten und gezankt, und wenn jemand laut über die Treppe polterte, polterte er eben laut. Es war kein Sakrileg wie bei uns, wo ein zu lautes Geräusch immer einen Nervenzusammenbruch bei meiner Mutter hätte bedeuten können.
Ich liebte Franziskas resolute Mutter, die daheim die Hosen anhatte und ihre Kinder bei aller Liebe streng regierte, während der Vater, ein herzensguter, weicher Mensch, seinen wissenschaftlichen Studien als Professor der Philosophie nachging und dabei genauso zerstreut und mit zu Bergen stehenden Haaren auftrat, wie es in alten Spielfilmen gezeigt wurde.
Oft hatte ich Angst, Franziska würde unsere Eskapaden büßen müssen, wenn sie nach einer unserer wilden Nachtstrolchereien heimkäme. Reumütig beteten wir beide dann an dem Kreuz, das Frederic mir geschenkt hatte, darum, dass die Gottesmutter doch Fürsprache für Franziska halten und Vergebung erwirken möge, damit es keinen Ärger zu Hause gäbe. Seit dieser Wunsch in brenzligen Situationen mehr als einmal erfüllt worden war, schworen wir ehrfürchtig Stein und Bein, das Kreuz wirke Wunder.
Ich hätte Franziska übrigens nicht weniger lieb gehabt, hätte sie sich von meinen Verrücktheiten distanziert und sich nicht darauf einlassen wollen. Aber das tat sie nicht. Sie fand es aufregend und spannend. Mit mir erlebte sie Abenteuer und turbulente Gefühle, den Reiz des Verbotenen, Geheimen, etwas, was ihr in der geordneten, stets überschaubaren und vorhersehbaren Welt ihrer Familie fehlte.
Die Kneipe, in der die Jugend des Ortes sich vorzugsweise traf, war jetzt auch unsere Stammkneipe. Franziska hielt sich überwiegend an Antialkoholisches. Ich hingegen trank alles und am liebsten viel. Wenn ich zu müde zum Heimlaufen war, reiste ich als Anhalterin.
Franziskas Warnungen vor bösen Männern, die kleine Mädchen vernaschen, hörte ich gern, weil sie ein Freundschaftsbeweis waren. Ernst nahm ich sie nicht. Ich meine heute, dass ich das Schicksal in dieser Hinsicht unbewusst ebenso herausforderte wie mit meinem Alkohol- und Nikotinkonsum. Glücklicherweise geriet ich nie an jemanden, der mir etwas antun wollte. Meist lasen mich Männer auf, die selbst Kinder hatten und mich fürsorglich bis vor die Haustür fuhren und oftmals sogar warteten, bis ich sicher dahinter verschwunden war.
Oft wurde es spät, ehe ich nach Hause fand, und viel zu spät, bis ich morgens aus dem Bett kam. Kein Wunder, dass ich in mein Tagebuch schrieb: »Lieber Schule als gar keinen Schlaf.«
Irgendwann trieb ich es so bunt, dass selbst mein alles entschuldigender und duldender Vater ein Machtwort sprach und mir drohte, das Taschengeld zu kürzen, wenn ich nicht endlich Vernunft annähme. Ich erschrak und nahm mir vor, es künftig weniger krachen zu lassen. Ohne Geld zu sein, konnte ich mir mittlerweile nämlich nicht mehr vorstellen. Wie sollte ich sonst an Alkohol und Zigaretten kommen? Aber am nächsten Zahltag war mein
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