Er war ein Mann Gottes
konnte, ich würde beim nächsten Versuch alles für ihn tun, alles mitmachen, was er wollte, wenn er nur endlich wieder gut zu mir wäre.
Trotzdem machte er mich an jenem Abend sicherheitshalber auch noch mit Sekt betrunken. So konnte er sicher sein, dass ich enthemmt genug sein würde, um den letzten vielleicht noch vorhandenen Rest Widerstand gegen seine Bedürfnisbefriedigung aufzugeben.
Schließlich stellte er alles als einen Akt der schönsten, reinsten Freundschaft dar und suggerierte mir, alles nur getan zu haben, um mir meinen Herzenswunsch zu erfüllen.
Er wusste, wie ich erzogen worden war und welcher Nimbus der Untadeligkeit einem Priester in meinem Elternhaus anhaftete. Die Vorstellung, dass meine bloße Existenz und mein ständiger Wunsch nach seiner Aufmerksamkeit ihn zur Sünde verführt hätten, war mir auf Grund dieser Prägung entsetzlich. Eine bessere Garantie für mein Schweigen konnte es gar nicht geben.
Hätte ich nicht mehr Widerstand leisten müssen? Es mag manchem so scheinen, als hätte ich mit zwölf Jahren ausreichend Grips im Kopf haben müssen, um zu wissen, worauf ich mich einließ, wenn ich spät nachts allein mit Frederic in den Wald fuhr, zu ihm auf sein Zimmer schlich oder mich von ihm mit Alkohol abfüllen ließ.
Zumindest zu einem zweiten Treffen hätte es nicht kommen müssen, wird man vielleicht denken. Ich hätte ihm ja bloß aus dem Weg gehen müssen.
Vielleicht stimmt es sogar. Vielleicht hätte es genügt, ihm entschieden Nein zu sagen. Ich konnte es nur nicht.
Ich war erst zwölf, dreizehn Jahre alt. Ich hatte zwar ein liebevolles Elternhaus, aber ich fühlte mich dennoch allein. Keiner hatte Zeit für mich, keiner nahm an meinem Leben wirklich Anteil, und man nahm mich nicht an, so wie ich war. Frederic war der erste Mensch, der mir das Gefühl gab, dass ihn alles interessierte, was mit mir zu tun hatte, dass ich ihm alles erzählen konnte und dass er mich als Person schätzte.
Es war die Angst, dass ein Nein von mir in dieser Situation ein Nein für immer bedeutet hätte. Unsere Vertrautheit, unser Lachen, sein Interesse an meinen Gedanken, meiner Meinung, nach dem, was mich ausmachte, mein Vertrauen in ihn, die Zuflucht, die er mir bot, all die »Extrasätzle« und Extraminuten, aber auch der Status in der Gemeinschaft der »Minis«, den ich als seine Beste hatte — alles hätte ich verloren, hätte ich ihm Nein gesagt. Alles, was mein Leben schön machte. Der Preis des Nein schien mir zu hoch.
Hinzu kam, dass ich Frederics subtile Vorgehensweise nicht im Geringsten durchschaute. Wer immer mich vor ihm hätte warnen wollen, wäre bei mir auf Granit gestoßen.
Ich wusste zwar, dass unsere Freundschaft vor der Welt verboten war. Aber vor Gott war sie erlaubt, dessen war ich gewiss. Frederic hatte mich glauben gemacht, ich sei ihm von Gott anvertraut, damit er mein Freund sei und mich glücklich mache. Ich war davon überzeugt, dass er auch mir anvertraut sei. Romantisch und naiv wie ich war, gab es für mich keinen Zweifel daran, dass er dieser mir im Horoskop versprochene und von Gott gesandte Freund sei. Ich wäre eher gestorben, als mich ihm zu widersetzen oder ihn jemals zu verraten.
Drogen-SOS
Ich war dreizehn geworden und so weit, dass ich Sprüche in mein Tagebuch schrieb wie: »Alkohol ist mein Feind. Doch in der Bibel steht geschrieben, du sollst auch deine Feinde lieben.«
»Jungs sind wie Autos. Wenn man nicht aufpasst, liegt man drunter.«
»Jungs sind wie Milch. Lässt man sie stehen, werden sie sauer.«
»Glotzt nicht beim Loben immer nach oben. Schaut mal zur Seite, dann seht ihr die Pleite.«
Doch das nach oben Schauen schien für die Menschen meiner Umgebung einfacher als der Seitenblick. Meine Pleite sah niemand. Dabei war mein ganzes Verhalten ein einziger Schrei, der sagte, dass mein Leben nur mehr eine Pleite wäre, dass etwas mit mir absolut nicht mehr stimmte.
Wollte es niemand sehen? Oder war ich für meine Umwelt so sehr die, die sowieso und immer schon »irgendwie verkehrt« gewesen war? Achtete deshalb keiner darauf, als das »verrückte Huhn« noch verrückter wurde? Ich weiß es nicht.
Ich war mit dreizehn noch immer ein Kind und rauchte wie ein Schlot, kam fast keinen Tag ohne Alkohol aus, hing öfter in Kneipen und Bars herum als in der Schule und strahlte durch die demonstrativ zur Schau gestellte Salvator-Regel »Ich tu, was ich will« ein Selbstbewusstsein aus, das mir unter Gleichaltrigen zugleich Neid und
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