Er war ein Mann Gottes
Taschengeld pünktlich wieder da.
Mein Vater konnte mich einfach nicht streng behandeln. Ich tat ihm zu leid. Und meine guten Vorsätze? Die waren schließlich dazu da, gebrochen zu werden. Auch so eine Weisheit, die ich neu gelernt hatte. Und zwar von unserem Vikar. »So what ?«, wie ich damals gesagt hätte.
Dass die Fassade der coolen Cora O. nichts als Tarnung war, bemerkte niemand. Keiner sah hinter meinem wilden Drogen-SOS die quälende Sehnsucht, endlich »richtig« zu sein und zu gefallen. Meine jede Lebensfreude überdeckende Angst zu versagen und zu verlieren bemerkte niemand. Ebenso wenig meine Abhängigkeit von Frederic und die daraus resultierende, bis zur Todessehnsucht gesteigerte Verzweiflung.
Bestellte ich Schnaps oder Likör in unserer Kneipe, wurde anstandslos serviert. Kaufte ich eine ganze Flasche davon im Kaufhaus, verlor niemand ein Wort. Kam ich betrunken nach Hause, merkte es keiner. Und wenn doch, wurde so getan, als sei nichts.
Ebenso war es, wenn ich mit der Kippe im Mund dasaß oder rauchend durch unseren Ort stolzierte. Wer mich sah, guckte weg oder tat, als sei es normal.
Kinder und Drogen, das war eine Familienangelegenheit. Da mischte man sich als Außenstehender nicht ein.
Meine Mutter sah und roch weg. Mein Vater drängte mich fast flüsternd, nur ja nicht im Haus, vor ihren Augen zu trinken oder zu rauchen. Den Gefallen tat ich ihm. Seine Bitte, damit doch um Gottes willen aufzuhören, ignorierte ich. Für Gottes Willen war Frederic zuständig.
Dieser erzählte mir in der Beichtstunde, in der ich die Anzahl der gerauchten Päckchen als Sünde bekannte, viel von Gesundheitsschädlichkeit, schwarzen Lungenflügeln und zu klein geborenen Babys. Doch anschließend auferlegte er mir eine milde Buße für eine lässliche Sünde und erteilte mir die Absolution. Und wenn ich seine glitzernden Blicke sah, sobald ich in meiner aufgesetzt lässigen Körperhaltung in der Clique stand, den Rauch inhalierte und bei gestreckter Kehle langsam in seine Richtung hin aushauchte, wusste ich, dass der Frederic, den nur ich kannte, ganz anders dachte als der Vikar, der Anstand und Moral zu predigen hatte.
Nur in der Schule war es schwierig. Minderjährige unter sechzehn, die mit der Zigarette erwischt wurden, mussten nachsitzen oder Extra-Hausaufgaben machen. Zum Glück versteckten mich die Großen einfach hinter sich, wenn die Pauker mal wieder den Raucherhof filzten. Es war ein Spaß, ihnen ein Schnippchen zu schlagen.
Die Pille vom Vikar
Keine von uns Mädels in meinem Alter hatte sie — nur ich: die Pille. Und selbstverständlich erzählte ich das auch. Schließlich passte es zu meinem Image.
Halb stolz, halb beschämt hörte ich mir das: »Oh!« und »Jesses!« der anderen Mädchen an, die mich von nun an mit anderen Augen zu betrachteten schienen, obwohl ich versichert hatte, die Pille »nicht deswegen« zu brauchen. Nur Franziska wusste, dass Frederic die Pille bezahlte und mich dazu gedrängt hatte, sie mir verschreiben zu lassen.
»Tu’s für mich. Weil ich mir Sorgen um dich mache. Weil ich seh’, wie die Jungs dich anstarren und wie oft du dich draußen allein herumtreibst. Du, mit deiner Tramperei.«
»Hol sie dir endlich! Ich will es. Vergiss den Quatsch mit Sünde und was der Papst dazu sagt. Das ist Blödsinn, Altmännergeschwätz. Ich bin dein Freund. Ich meine es gut mit dir. Ich will nicht, dass da mal was passiert und du dann allein mit einem Kind dastehst. Weil ich Verantwortung für dich hab. Weil du mir anvertraut bist.«
Frederic hatte viele Erklärungen. Nur die eine, die wahre, die nannte er nicht. Dass ich die Pille nehmen sollte, damit es eines Tages nicht sein Kind wäre, mit dem ich allein dastünde. Damit es ihn nicht sein Priesteramt kosten würde, weil ich durch sein Kind beweisen könnte, was für ein Freund er mir gewesen ist.
»Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Oder: »Was man nennt, kommt gerennt.« Diese Sprüche kannte ich noch von meiner lieben verstorbenen Tante. Frederic wandte sie als Lebensregeln an. Nie fiel zwischen uns ein Wort über das, was »passiert« war. Es war ein namenloser Fehler, der nach der Beichte wie nie gewesen, wie ein Spuk, ein Albtraum war, der wiederkehrt, aber niemals real ist. Nur was Frederic aussprach, existierte für ihn auch.
Franziska durchschaute Frederic viel besser als ich. Als ich ihr sagte, er habe mir befohlen, die Pille zu nehmen, fragte sie: »Ach, ja? Für ihn? Und wer zahlt?«
Ich zuckte
Weitere Kostenlose Bücher