Er war ein Mann Gottes
wir wirklich von vom beginnen?«, fragte Frederic plötzlich aus seiner tiefen Andacht heraus.
Gläubig sah ich zu ihm auf. »Mhm. Nein.«
»Das Beste wäre, du würdest dich in einen Jungen in deinem Alter verlieben.«
Ich starrte ihn an. Was sollte das heißen? Wollte er mich abschieben? Sollte ich mir etwa einen anderen Freund nehmen?
Als ob er meine Gedanken lesen könnte, lächelte Frederic noch gütiger als zuvor. »Du weißt doch, dass du das brauchst, was zwischen uns ist. Du brauchst ganz viel Nähe und Zärtlichkeit. Du bist so voller Sehnsucht danach. Und du spürst ja, wie deine Seele ganz tief in dir drinnen vor Freude und Glückseligkeit springt, wenn ich dich umarme und halte und dir meine Wärme schenke. Du brauchst das einfach. Und das ist gut. Das hat Gott so eingerichtet. Ich als dein wahrer Freund spüre dein Verlangen und gebe dir deshalb gern, was du brauchst. Echte Freunde tun alles für einander. Das weißt du ja.«
Ich starrte ihn an. War das so? Kam es zu diesen Fehlern zwischen uns, weil er mir aus Freundschaft geben wollte, was ich brauchte? So hatte ich das nie zuvor gesehen.
Aber es stimmte, ja, ich sehnte mich nach einem Freund, der für mich da wäre. Und Frederic war Priester. Er sah in die Seelen aller Menschen. Wie viel besser erst in meine. Es musste stimmen, was er sagte. Ich war nur zu dumm und hatte es nicht erkannt. Wie wichtig musste ich ihm sein, dass er für mich sogar sündigte!
Frederic beobachtete, wie es in mir arbeitete. »Es ist gut, wenn man seine Bedürfnisse annimmt und seine Gefühle nicht unterdrückt«, fuhr er fort und kniete sich zu mir auf die schmale Bank. »Dass die Eltern einem immer einreden, nur ja keinen Freund zu haben, wenn man noch so jung ist wie du, ist totaler Schwachsinn. Sie sind halt eben verklemmt. Alt.«
Zart ergriff er meine Hand und legte sie kurz an seine Wange, ehe er sie mit einem lieben Streicheln wieder auf die Gebetbuchablage schob. »Damals, in ihrer Jungend, war das noch so. Da gab’s keine Pille. Da mussten alle noch Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft haben. Das ist jetzt alles völlig anders. Deshalb muss kein junger Mensch sich kasteien und alle Gefühle unterdrücken. Wenn die Hormone kommen und die Gefühle, du weißt schon«, lächelnd sah er mich an, »dann ist das ganz okay.«
Er sprach wie bei der Predigt. Ich merkte, wie meine Gedanken abglitten, bis einer wie ein Blitzschlag in mich fuhr: »Er schickt mich weg. Er will mich nicht mehr.«
Ich musste es laut gesprochen haben, denn Frederic schüttelte den Kopf und antwortete: »Das ist es nicht, Schatz.«
Nie zuvor hatte er mich so genannt.
»Du weißt doch, dass uns viel mehr verbindet, nicht nur, dass ich dein Vikar bin.« Wie er mich dabei ansah!
»Ich will nur, dass du glücklich bist, wenn ich gehen muss. Du kannst nicht allein sein. Das weißt du, das spürst du doch. Du brauchst einen Freund. Du musst jemand haben, der zu dir gehört. Der für dich da ist. Dann, wenn ich es nicht mehr kann.«
Er atmete tief ein und legte sanft den Arm um mich, so dass ich meinen Kopf an seine Schulter lehnen konnte. »Und jetzt, wo du weißt, dass ich sehr krank bin, weißt du auch, dass ich dir bald nicht mehr alles geben kann, was du brauchst. Da wäre es doch schön, wenn ich dir noch beistehen könnte, den Richtigen für dich zu finden.«
In einem Weinkrampf brach ich zusammen.
Aufbegehren
Franziska sagte mir neulich, damals hätte ich mich sehr verändert. Abgekapselt hätte ich gewirkt. Es stimmte. Ich ging zur Schule, aß und trank, gab die Coole, wie es von mir erwartet wurde, und kam mir einmal mehr vor wie in einem Traum. Der Unterricht rauschte an mir vorbei, während ich aus dem Fenster schaute, die Zweige der Bäume mit meinen Blicken abtastete, ohne sie zu registrieren.
Es ist ein seltsames Schauen, wenn man die Dinge sieht und erkennt, aber der innere Abgleich fehlt. Es ist, als liefe das Erblickte wie Wasser durch einen hindurch oder versickere spurlos.
Ebenso erging es mir mit dem Unterricht. Fragen der Lehrer glitten an mir ab. Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, was sie lehrten, geschweige denn, was ich mir merken sollte. Meine Hefte blieben leer wie mein Kopf. In Mitarbeit bekam ich damals die schlechteste Note.
Das, was von meinem lebendigen Ich übrig war, zog sich entweder in einen gedankenleeren Raum zurück oder reduzierte sich auf ein wirres Gedankenknäuel, das sich unablässig im Kreis drehte: »Was ist das zwischen
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