Er war ein Mann Gottes
tat gut, dass ich die Bestätigung dafür fand, was ich immer schon geahnt hatte, dass Frederic und ich in Wirklichkeit Sex hatten, obwohl er es »echte Freundschaft« nannte. Es gab mir endlich das Vertrauen in meine eigene Wahrnehmung zurück, die durch Frederics Freundschaftsbegriff zutiefst verunsichert worden war. All das, was ich meinem neuen Freund erlaubte und ich mitmachte, war wie Nachhilfestunden für den Kopf. Mein Körper kannte es schon und reagierte wie beim Schach: »Berührt, geführt.«
Ich hatte längst aufgegeben, mich gegen die Lust zu wehren, wenn ich mit Frederic zusammen war. Auch wenn ich mir fast die Lippen abbiss und in meinem Kopf: »Nein! Nein!« schrie, änderte es ja nichts daran, dass es über mich kam. Was blieb, war der Widerwillen gegen dieses Gefühl und das Bewusstsein, dass es schlecht war. Aber das sprach ich nie aus. Kein Wunder also, dass Tim davon überzeugt war, dass wir den tollsten Sex zusammen hätten.
Wirklich toll daran war für mich allerdings nur, dass wir in unserem Gartenhaus nichts Verbotenes taten. Kein Zölibat wurde gebrochen, kein berufener Priester entweiht, kein Pfarrer Punktum konnte zur Tür hereinkommen. Wenn, dann würden höchstens meine Eltern auftauchen, und das wäre etwas peinlich und sicher nicht ganz witzig gewesen, aber nicht sonderlich schlimm. Sie hätten uns höchstens die Leviten verlesen.
Ich musste nicht mit allen Sinnen zur Tür hinauslauschen, ob ich Schritte auf der Treppe hörte. Ich musste nicht bereit sein, mich sofort unters Bett zu rollen, sollte die Türklinke sich bewegen. Ich musste nicht steif wie ein Stock liegen, ohne den Mann zu umarmen und zu streicheln, der sich in mir verlor. Und wenn ich Tim küssen wollte, küsste er mich freudig wieder. Ohne das Gesicht wegzudrehen oder in meinen Körper zu verbohren. Und danach gab es keine Beichte und kein schlechtes Gewissen. Danach lagen wir uns in den Armen und schliefen ein. Ganz ruhig, sanft, zärtlich. Und wenn wir beide wollten, taten wir es wieder.
Dieses Freie der Liebe entzückte mich. Nur darum schlief ich mit Tim.
Wenn Frederic mich mit ihm zusammen sah, grinste er oder stichelte über uns »Turteltäubchen«, wie er das auch gegenüber anderen verliebten Pärchen tat. Wenn er geplant hatte, durch diesen Schachzug die Gerüchte zum Verstummen zu bringen, die sich allmählich ja doch immer lauter über uns zusammengebraut hatten, war seine Rechnung voll aufgegangen. Die Lästermäuler in unserer Ministrantengruppe hatten einen Riegel vorgeschoben bekommen. Mein neuer Freund prahlte mit mir als seiner Eroberung. Ich machte kein Geheimnis daraus, dass wir Sex hatten.
Dass ich erst dreizehn war, interessierte keinen. Andere Mädchen in meinem Alter hatten auch ihre oft zehn und mehr Jahre älteren Liebhaber, von denen meistens sogar die Eltern wussten. Selbst meine hatten nichts gegen meinen Freund einzuwenden. Seine Familie gehörte im Ort zu den Bessergestellten. Er lief nicht herum wie ein Papagei und grüßte höflich, wie es sich gehörte, wenn er ins Haus kam. Er war anständig. Er passte ins Bild. Ich nahm schon seit längerem die Pille. Insofern war alles im grünen Bereich. Es konnte ja »nichts passieren.«
»Die Cora war schon immer anders«, hieß es. Damit war alles gesagt. Und der »Spuk mit dem Vikar-Freund« war nun Gott sei Dank auch vom Tisch, das zumindest dachte mein Vater.
Der Voyeur
Tatsächlich war nichts vorbei. Im Gegenteil, sobald ich auf Frederics Zimmer war, fragte er mich aus, wie es mit meinem Freund denn so wäre und erregte sich an meinen Beschreibungen. Es machte mir Angst, wie er sich dann auf mir und in mir abjagte und dabei immer wieder wissen wollte, wie es mir gefiele und mit wem es schöner für mich sei. Anders als früher konnte ich jetzt unterscheiden, welchen Körperteil von ihm ich wann in mir spürte. In meinem Tagebuch steht von nun an oftmals der Vermerk: »Echt«.
Nach einem dieser »innigen Beichtgespräche« nahm ich mir vor, ihm künftig nichts mehr von meinem Zusammensein mit meinem neuen Freund Tim zu erzählen. Er hatte gewollt, dass ich mir einen anderen nehmen sollte. Jetzt hatte ich zwei Freunde. Und irgendwie auch zwei Leben.
Es mag sich konstruiert anhören, aber ich fühlte mich damals wirklich wie in einer Welt und einer Gegenwelt. Welches dieser Leben war wirklich, welches nur erfunden? Welcher Mann war das Original, welcher die Fälschung? Beide berührten und befriedigten mich. Bei beiden empfand ich
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