Er war ein Mann Gottes
es, weil ich wusste, dass ich diesen Mann, diesen mir so unersetzbaren Freund, verlieren würde, wenn ich nicht gehorchte. Ich wollte ihn nicht verlieren. Er war mir wichtiger als ich selbst. Ich wäre für ihn gestorben, wenn er es von mir gewollt hätte.
Wenn Frederics Blicke auf mir ruhten, war mir, als sei ich zum ersten Mal wahrgenommen worden. Als er mich nach meinen Erlebnissen, Problemen, Gedanken, Sehnsüchten, Freuden und Freundschaften fragte, war ich so dankbar. Endlich, so schien es, war ich einem Menschen wichtig. Als er mir vor allen anderen Mädchen seine Zeit schenkte, fühlte ich mich endlich »richtig«.
Niemals hatte mich jemand so glücklich gemacht.
Ich gab ihm meine Seele und ließ ihm meinen Körper, weil es Frederics Wunsch und Bedürfnis war und ich merkte, dass es ihn glücklich machte.
Ich habe Angst, weil Frederic mich gelehrt hat, dass meine Würde, mein Wille und mein Körper antastbar sind, ja, dass sie vollkommen manipuliert und benutzbar gemacht werden können. Seitdem lebe ich ständig in Angst, dass dies jederzeit wieder geschehen könnte.
Liebe ich wirklich, wenn ich mich verliebe? Werde ich wahrhaftig wiedergeliebt? Oder werde ich nur manipuliert, verführt, letztlich um die wahre Liebe betrogen und abermals nur ausgenutzt? Selbstzweifel machen meine Seele mürbe wie eine gesplitterte Verbundglasscheibe.
Diese Fragen, diese Angst, diese Zweifel sind das Gift des Missbrauchs.
Wie wäre ich geworden, wenn...
Zweifellos haben Frederic, der gottgeweihte Vikar, und sein sexueller Missbrauch mein Leben von Grund auf verändert. Das spüre ich. An jedem einzelnen Tag.
Oftmals bin ich traurig, weil ich mich gern erlebt hätte, wie ich ohne diese Erfahrung geworden wäre. Wie es wohl wäre meine schöne Wohnung, mein ganzes Leben mit einem geliebten, mich liebenden und achtenden Mann zu teilen? Wie würde ich mich fühlen, könnte ich ohne Albträume schlafen? Wie empfände ich es, würde ich mich angstfrei auf eine Liebe einlassen können, ohne das Gefühl, mich und mein Ich dabei aufgeben zu müssen? Welche Ausstrahlung hätte ich, könnte ich mir und anderen unbeschwert vertrauen und mit mir selbst im Einklang sein?
Vielleicht hätte ich eine eigene Familie, Kinder. Vielleicht wäre ich nicht unheilbar krank geworden, sondern würde jedes Jahr gesund und glücklich mit Mann und Maus in Urlaub fahren, den ich allein so schwer ertrage. Vielleicht wäre ich auf eine Weise gelassen, die ganz in meinem Inneren wurzelt, gelassen und glücklich. All das habe ich nie kennen gelernt und werde es wohl bis an mein Lebensende nicht kennen lernen.
Wenn ich mich im Spiegel betrachte oder mit anderen zusammen bin, suche ich stets nach dem Menschen hinter dem Menschen. Manchmal gibt es auch Tage, an denen ich das Gefühl habe, mich mit allem, was ich erlebt habe, annehmen zu dürfen. Das sind vor allem die Tage, an denen ich aus den verschiedensten Gründen erfahre, dass ich geliebt werde, weil ich bin, wie ich bin: empfindsam, mitfühlend, zugewandt, gut im Zuhören und um Lösungen bemüht. Eigenschaften, die ich vielleicht nur deshalb besitze, weil das Leid mich geläutert hat. Die mir entgegengebrachte Liebe versöhnt mich bei solchen Gelegenheiten mit mir selbst. Sie gibt mir das Gefühl, liebenswert im Sinne von »Liebe wert« zu sein. Das ist wunderschön.
Es gibt aber auch die anderen Tage, an denen ich mir die Maske des sexuellen Kindesmissbrauchs herunterreißen möchte, um dahinter die heile, unversehrte Persönlichkeit der Cora 0. zu finden. Tage, an denen ich mein Leben am liebsten wegwerfen will und mich mit Unmengen Zigaretten und Wein im Bett verkrieche, um endlich, endlich nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, nicht mehr sein zu müssen.
Ein Kind durch sexuellen Missbrauch zu verletzen ist eine furchtbare Straftat, die meiner Meinung nach viel zu milde geahndet wird, wenn man des Täters oder der Täterin denn überhaupt habhaft wird und sie überführen kann. Ein solcher Missbrauch wird auch nicht dadurch weniger schlimm, wenn ein Mann Gottes ihn begeht, der seinem Opfer und sich selbst nach der Tat die Beichte abnimmt und beiden mit Gottes Segen die Absolution erteilt.
Die Seele eines sexuell missbrauchten Kindes gerät für immer aus der Balance. Das zerstörte Selbstwertgefühl brodelt wie ein Geysir, dessen Ausbruch jedes Mal Fontänen aus Lebensangst, Eifersucht, Verlustangst und Selbstzweifel an die Oberfläche befördert.
Nach den Erlebnissen mit Frederic
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