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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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Bedauern wegen des Unglücks auszusprechen, das über den armen Max gekommen sei, und sie zu fragen, wo er denn inhaftiert sei und ob ich ihm schreiben dürfe.
    Wenig später erhielt ich den ersten eines schließlich dicken Ordners mit Briefen von Max und geriet in eine Liebesgeschichte so voller Déjà-vu-Erlebnisse, als hätte Frederic sich in Max reinkamiert oder Max sich in Frederic verwandelt. Ich selbst taumelte darin ebenso hilflos und getrieben umher wie das Kind, das ich einmal war, und erkannte die Parallelen erst Jahre später, als ich mir endlich Hilfe holen konnte, die nicht aus dem Schoß meiner Kirche kam.

Warum Max zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, aber nie in den Knast kam

    In seinem ersten Brief schrieb Max, er wolle mir gern den Gefallen erweisen, mir nach einem anstrengenden Tag in der Gefängnispsychiatrie, in der er Dienst tue, ein paar Zeilen zu schreiben.
    Heute frage ich mich, wieso mich das nicht spontan an Frederics Gönnerhaftigkeit erinnerte, mit der dieser mir den Gefallen erwies, mich nach seinem anstrengenden Tag noch mit seiner Sexualität zu beglücken.
    Stattdessen erschrak ich mitleidsvoll, dass Max im Krankenhaus war. War er etwa krank? Krank, wie Frederic es gewesen war?
    Die Erklärung folgte in seinem nächsten Brief. Max war nicht krank. Bei seiner Verhaftung war er lediglich in einem Anfall nervöser Atemnot zusammengebrochen. Dankbar beschrieb er die sehr wachsamen, geistesgegenwärtigen Kripobeamten und den ihm wohlwollenden Arzt, durch deren Fürsorge man ihn nicht ins Gefängnis, sondern sogleich in die Gefängnispsychiatrie eingeliefert hatte.
    Anschließend behielt der verantwortliche medizinische Leiter ihn wegen angeblicher Suizidgefahr dort und entließ ihn später sofort in ein Freigängerheim, den so genannten »Offenen Vollzug«. Dort gab es weder vergitterte Fenster, noch verriegelte Türen, dafür einen frei zugänglichen Kraftraum, individuelle Küche und einen schönen Garten, der nur durch einen Zaun von einem herrlichen Badesee getrennt wurde. An seinem Ufer verbüßte Max den größten Teil seiner Haft.
    Er habe sich natürlich nie das Leben nehmen wollen, erklärte Max in einem weiteren Brief. Offenbar konnte er sich ein Grinsen wegen seines gelungenen Schachzugs nicht verkneifen. Der verantwortliche Arzt hätte ihm auf Grund seines Priesterstands ein Gefälligkeitsgutachten geschrieben, um ihn vor der Einlieferung in die Strafvollzugsanstalt zu schützen.
    Häftlinge, die so etwas getan hätten wie er, wären dort ihres Lebens nicht sicher. Entsetzliche Dinge würden ihnen von Mithäftlingen angetan. Er als sexuell fast unerfahrener und zum Zölibat verpflichteter Mann wäre unter den »echten Verbrechern« in der Justizvollzugsanstalt als Freiwild verloren gewesen. Das habe der Arzt sogleich eingesehen und ihn entsprechend gerettet.

Karriereplanung im Knast

    Trotz dieser großen Vergünstigungen wollte Max jedoch nicht seine gesamte Haftzeit als Küchenhelfer bei einem Stundenlohn von 65 Cent in der Cafeteria der Gefängnispsychiatrie verbringen, sondern sich sogleich nach etwas Besserem Umsehen. Den ganzen Tag in der Anstalt zu schuften sei ihm viel zu stressig, schrieb er. Er verlange eine faire, menschliche Behandlung. Deshalb werde er sich zunächst um einen neuen Job bei der Gefängniszeitung bewerben. Dort verdiene er zwar noch weniger, aber das sei ihm egal. Wichtiger sei, dass er mehr Zeit für sich und auch an den Wochenenden frei habe.
    Das nächste Ziel sei eine Therapie, denn diese sei nötig, um Urlaub vom Knast zu bekommen und vorzeitig entlassen zu werden. Ich solle mir keine Sorgen um ihn machen. Er schaffe das schon.
    Max schaffte es wirklich. So verwarf er beispielsweise eine zunächst vorteilhaft erscheinende Verlegung in den Regelstrafvollzug, weil er von der Gefängnispsychiatrie aus am meisten erreichen konnte.
    Einer der Vorteile des Verbleibs in der Klinik war die Möglichkeit, eine eigene Zweiplattenkochmulde in der Zelle haben zu können. Da es Max rasch gelang, eine Einzelzelle zu ergattern, in welcher er ungestört fernsehen, Italienisch lernen, schlafen und schreiben konnte, schwärmte er mir bald vor, wie oft und geradezu lukullisch er sich in seiner Zelle aus den Vorräten der Cafeteria mit mediterranen Salaten, Pizza oder Steaks bekochte und in der Küche der Cafeteria Kuchen für sich backte.
    Aromatisch duftende Zigarillos, reichlich gute Musik vom Knast-Kiosk, angemessene Kleidung sowie eigene Bettwäsche und

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