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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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sein werden.
    Ebenso war es mir mit Frederic ergangen. Er hatte mich hemmungslos gedemütigt und erniedrigt, indem er mich alkoholisierte, um mich sexuell besser gebrauchen zu können, und mich dann vor meiner Familie und im Freundeskreis als Säuferin vorgeführt. Gleichzeitig hatte er mich zum Schweigen gezwungen, damit er nicht bestraft, gedemütigt und erniedrigt würde.
    Wegen seiner Angst vor erwachsenen Mitgefangenen, die in einem Kindesmissbraucher den Abschaum der Gesellschaft wahrnmehmen und aggressiv genug sein könnten, einen Täter durch Vergewaltigung zum Opfer zu machen, wurde Max davor geschützt, zum Sexual-Opfer zu werden. Über die Angst, die kleine Kinder als seine sexuellen Opfer hatten, verlor er nie ein Wort zu mir.
    Wir Kinder hatten ein solches Pardon nicht bekommen.

    Wenn ich heute die Zeilen von Max lese: »Die Zeit hier im Knast war teuer, sowohl was Geld als auch Zeit betrifft. Die Langeweile ist ätzend. Aber ich schaff das. Ich komm hier raus und alles wird gut«, beneide ich den Täter und frage mich: »Wann wusste ich als Opfer das jemals so sicher?«
    Ich bin bitter in diesem Punkt. Ich weiß. Aber als Opfer bin ich nicht in der Situation, Mitleid mit dem Täter zu empfinden.

Selbstmitleid

    Max Dobel hatte mir als junger Kaplan imponiert, weil er mutig genug war, gegen seinen Kollegen Frederic vorzugehen. Jetzt schien er mutig genug, seine eigene Straftat zu bearbeiten.
    »Wer hätte so was je von mir gedacht? Zuallerletzt ich selbst!«, schrieb er. »Ich hatte mir eingeredet, ohne Sexualität leben zu können. Das war ein Irrtum. Jetzt sitze ich im Schlamassel und habe außerdem alles verloren, was ich mir aufgebaut hatte. Was von dem, was ich erreicht habe, hat jetzt noch Bestand? Ich könnte mich selbst ohrfeigen.«
    »Lieber Max«, antwortete ich sogleich, »du bist nicht allein. Es gibt liebe Menschen, die dir trotzdem vertrauen und dich auf deinem Weg begleiten. Eine davon bin ich.«
    Mein Herz flog ihm zu, als er bekannte, sein Selbstwertgefühl habe durch sein Delikt stark gelitten. »Am liebsten will ich keinem mehr begegnen, der mich von früher kennt. Wer bin ich jetzt noch? Ich war immer der Meinung, dass ich ein sehr guter Priester gewesen bin. Jetzt habe ich nicht mal Ruhe zur Andacht. Mit drei Mann auf einer Zelle, von denen zwei ständig fernsehen und sich die blödesten Filme reinziehen, während du schlafen oder schreiben oder meditieren oder beten willst, das geht einfach nicht. Das hier ist leider kein Kloster, in dem man sich durch Exerzitien selbst finden könnte.«
    Für mich hieß das: Max schämte sich, Kinder sexuell missbraucht zu haben. »Wer so bereut«, dachte ich, »dem muss man verzeihen und die Hand reichen, um ihn auf dem steinigen Weg der Buße zu stützen.«

Die Kunst der Tatverdrängung

    Leider war die bewunderte Offenheit nur Scheingeplänkel. Tatsächlich verhielt Max sich ähnlich wie Frederic. In keinem seiner Briefe oder irgendeinem persönlichen Gespräch nannte Max seine Straftat jemals beim Namen. Es blieb stets bei Bezeichnungen wie »dies«, »es«, »Delikt«, »Irrtum«, »Schlamassel«.
    Bei Frederic hieß es »Fehler«.
    Und genau wie bei Frederic verhielt ich mich in diesem Punkt bei Max.
    So, wie eine Mutter ihr Kind versteht, das mit dem Fingerchen zeigt und »Da, da!« von sich gibt, obwohl es verständig genug wäre, das begehrte Etwas zu benennen, so akzeptierte ich die Worthülsen von Max.
    Als ich mich einmal erdreistete, seine überaus enge, eifersüchtig gefärbte Mutterbindung zu hinterfragen, aus der heraus er nie eine Freundin gehabt hatte, schrieb er mir zunächst lange gar nicht. In seinem nächsten Brief fuhr er mir über den Mund, dass ich erstens keine Ahnung und zweitens derartige Themen zu lassen hätte. Diese seien seinem Therapeuten Vorbehalten, der etwas davon verstünde. Wenn ich mir nochmals so etwas herausnehmen würde, könne er sehr empfindlich reagieren.
    Liebesentzug als Strafe kannte ich schon. Insofern hatte ich meine Lektion nach diesem Versuch zur Offenheit auch im Umgang mit Max ein für alle Mal gelernt.
    Es dauerte noch lange, bis ich verstand, dass das konsequente Vermeiden des Tatbegriffs etwas damit zu tun hatte, dass Max sich seiner Straftat weder stellte noch Verantwortung dafür übernahm. Er weigerte sich sogar, sie konkret zu benennen. Er sorgte sich auch nicht um das Wohl seiner Opfer. Es ging ihm in Wirklichkeit einzig und allein um sich selbst und darum, wie er nach seiner

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