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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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Viel mehr fürchtete er das Gefängnis und die Gewalt, die man ihm zur Strafe antun könnte. Ich hatte Frederic als ganz besonderen Menschen verehrt. In Wirklichkeit war er schwach und feige gewesen. Ich war Max dankbar für diese Aufklärung.

Vertrauensbruch

    Ich wartete sehnsüchtig auf Post von Max. Jeder Brief war wie ein Heiligtum. Blatt für Blatt steckte ich sie in Schutzhüllen, damit nur ja keines versehrt oder beschmutzt würde. Und ich las sie wieder und wieder. Nie zuvor hatte jemand mir so schöne, wortgewandte Briefe in einer so gleichmäßigen, wie gemalten Handschrift geschickt.
    Ich schöpfte nicht den geringsten Verdacht, als Max mir immer nur von einer »Begleitperson« schrieb, anstatt mir unbekümmert mitzuteilen, dass es sich bei dieser Begleitung während der Freigänge um eine junge nonnenähnliche Laienschwester handelte, die als Krankenschwester arbeitete. Max kannte sie schon lange aus seiner Zeit als Beichtvater und hatte sie sich von der Kirchenobrigkeit als unverfängliche Begleitperson erbeten.
    Ich kam nicht einmal auf die Idee, dass es sich dabei um eine Frau handeln könnte. Max war Priester. Er sollte zu Frauen auf Distanz gehen. Niemals hätte ich gedacht, dass er jetzt ausgerechnet mit einer Frau ausgehen, die Wochenenden verbringen und in ihrem Haus zur Untermiete wohnen sollte.
    Doch selbst wenn Max offen zu mir gewesen wäre, hätte ich ihm blind geglaubt, dass eine Frau als Ausgangsbegleiterin aus Therapiegründen besonders hilfreich sein konnte. Immerhin war er wegen sexuellen Kindesmissbrauchs an Jungen verurteilt worden. Ich hätte nicht bezweifelt, dass eine positive Prognose für die Zukunft unter anderem davon abhängen würde, wie Max sich im Umgang mit Frauen verhielt.

    Warum Max mir so wenig vertraute, dass er mir diese Frau in seinem Leben verschwieg, darüber kann ich nur spekulieren. Möglich wäre, dass er befürchtete, ich würde die Brieffreundschaft zu ihm aus Eifersucht abbrechen. Ihm war ja längst klar, dass ich mich unsterblich in ihn verliebt hatte und mir einbildete, die einzige Frau in seinem Leben zu sein. Wäre unsere Freundschaft in die Brüche gegangen, hätte sich das sicher sehr negativ auf das psychologische Gutachten ausgewirkt, und damit auf eine positive Entscheidung über seine vorzeitige Haftentlassung.

    Heute weiß ich, dass meine Briefe für Max nicht nur eine willkommene Abwechslung darstellten. Lebenswichtig sei das Schreiben für ihn, vertraute er mir an. Er unterliege heftigen Stimmungsschwankungen und komme mit seiner Lage nicht klar. Das Schreiben helfe ihm, das emotionale Auf und Ab besser einordnen zu können.
    Gleichzeitig kam ihm unsere Korrespondenz ungeheuer gut gelegen, denn sie diente ihm dazu, seine Läuterung zu demonstrieren und sich zu diesem Zweck aus der sicheren Entfernung hinter Gittern auf einen sexuell gefärbten Flirt mit mir und unverbindliche Liebeserklärungen einzulassen.

    Als ich Max zu schreiben begann, wusste ich noch nicht, dass jede Zeile der Gefängniszensur unterlag und von Dritten kontrolliert wurde. Max hingegen war dies bekannt. Entsprechend formulierte er seine Briefe so, dass sie einen bestimmten Eindruck auf diejenigen machen würden, die über seine vorzeitige Haftentlassung zu befinden hatten.
    Wahrscheinlich spickte er deshalb seine Seiten vom ersten Brief an mit Erinnerungen an in ihn verliebte Mädchen aus seiner Zeit als Kaplan und mit vielen Hinweisen auf eine Zukunft als liebender Mann und Vater. Der Erfolg gab ihm recht, denn nicht bloß die verantwortlichen Entscheidungsträger im Strafvollzug, sondern auch ich gingen ihm auf den Leim.
    Welch süße Hoffnungen schürte er in mir, wenn er schrieb, wie sehr er sich wünschte, einen lieben Menschen an seiner Seite zu haben, Vater zu werden, endlich die Liebe zu einer Frau zu erfahren, die ihm in seinem über vierzigjährigen Leben bisher so gefehlt habe. Jedes seiner zärtlichen, sehnsüchtigen Worte sog ich auf wie ein trockener Schwamm und wiegte mich täglich mehr in der Sicherheit, dass ich diese Frau sein werde, umso mehr, als er mich sogar schon während der Haftzeit seinen Eltern als Freundin vorstellte.
    Voller Liebeshoffnung machte es mir nichts aus, die schönsten Jugendjahre auf Max zu warten und seinetwegen auf Sparflamme zu leben, so dass ich aus Verbundenheit mit ihm fast ebenso wenig vom freien Leben hatte wie er.
    Es berührte mich sehr, als er mir schrieb, dass er nicht wisse, ob Sexualität für ihn eine fremde oder nur

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