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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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nötig waren. Sie schlief gern mit ihm, aber das war ein Federchen auf der Waage, Lust bekam man schon für schwache Gefühlchen, kein Eintrittspreis, sondern Kollekte. Er wünschte sich, dass sie sein Gesicht streichelte, es wäre ein Bekenntnis gewesen, und sie verweigerte es ihm. Sie schlief mit zwei Männern, aber nur einem strich sie übers Haar. Es war eine mögliche Erklärung.
    Die Frage, ob er sie liebte, stellte sich gar nicht.
    Er konnte sie erst lieben, wenn die Verdachtsmomente ausgeräumt waren.
    Franks Warnung in Venedig.
    Die Schrift auf dem Badezimmerspiegel.
    Ihre zeitökonomischen Gedanken, zwei waren das Beste.
    Hossam.
    Die Papas.
    Er listete das alles auf, ein kleinmütiger Buchhalter, dessen Arme an Fäden hingen und dem jemand böse Gedanken ins Gehirn blies. Jensen fühlte sich vergiftet, er kroch aus dem Nebenbuhlerbett, stieg barfuß die Stufen der Wandtreppe hinunter. Er hatte zum Abendessen Wein getrunken, diese Tätigkeit wollte er nun wieder aufnehmen. Er fühlte sich, als stünde er einen Schritt neben sich, und der Wein würde ihm helfen, sich noch weiter von sich zu entfernen, bis die Distanz groß genug war, damit er sich wieder erkennen konnte.
    In der Küche summte der Kühlschrank, der Hund gähnte. Dem Gähnen folgte ein Winseln. Danach leckte der Hund sich über die Nase. Er kratzte sich hinter dem Ohr. Jensen trank, der Hund betrachtete eine Fliese des Fußbodens. Er schaute Jensen an, als sei er für die Fliese verantwortlich. Danach beschnüffelte er die Fliese. Da war aber nichts los, und er gähnte wieder. Jensen drehte dem Hund den Rücken zu. Es half nichts. Wem gehörte der Hund eigentlich? Toni lehnte ihn ab, ihrer Meinung nach war er ein Reittier für leichte Gespenster. Sie ritten auf dem Hund durch die Wohnung, und wenn ihnen das zu langweilig wurde, versteckten sie sich unter Tonis Bett, um dort, in der Abgeschiedenheit, dämonisch zu werden.
    »Gespenster sind harmlos«, sagte Toni, »solange man ihnen keine Gelegenheit gibt, sich zu verstecken. In Verstecken werden sie böse, richtig böse, meine ich. Der Teufel war früher nur ein Gespenst, bis er sich vor Gott verstecken musste. Ich glaube natürlich nicht an Gott, ich bin ein Scheidungskind, verstehst du? Aber das Böse gibt es auch ohne Gott, das ist ja der Witz der Sache.«
    »Letzten Herbst hat sie einen Hochbegabtentest gemacht«, sagte Lea. »Ich war dagegen. Aber sie wollte unbedingt.«
    »Und?«, fragte Jensen.
    Lea nickte besorgt.
    Ihr gehörte der Hund auch nicht wirklich. Sie gewährte ihm Bleiberecht, aber es war keine Herzensangelegenheit. Sie war an ihm nur interessiert, weil sie hoffte, dass Tonis Intelligenz sich durch die Beschäftigung mit einem Tier um eine paar Quotientpunkte reduzierte. Sie fütterte ihn zuverlässig, streichelte ihn aber nie, Jensen zog Rückschlüsse auf sich selbst.
    An der Wand neben dem runden Küchentisch hing ein Kalender für Schlafwandler. Man konnte die Mondphasen ablesen, und heute war Vollmond.
    Mit einem vollen Weinglas ging Jensen auf Zehenspitzen an Tonis Schlafzimmer vorbei ins Wohnzimmer, auf der Suche nach dem Vollmond. Er zog leise die Vorhänge des Erkerfensters zurück, und der Mond trat auf. Erster Akt: über den Dächern, umworben von Wolken. Die Anziehungskraft des Mondes hatte erheblich nachgelassen, nachdem jeder wusste, dass dort oben ein Astronaut einst in seinen Raumanzug gepinkelt hatte.
    Jensen stand am Fenster und dachte an Leas Brüste, die träge waren. Wenn er die Brustspitzen berührte, geschah nichts. Er mochte Brüste, die reagierten, sie vermittelten dem Mann das Gefühl, eine bedeutende Tätigkeit zu verrichten. Die Rückmeldung war in der Liebe das Entscheidende. Er dachte an die Gluonen, die im Atomkern zwischen den Protonen und Neutronen unablässig hin und her schwirrten, um sie aneinanderzubinden. Schwirrte zwischen Lea und ihm genügend hin und her? Hätte er sich von ihr gerne töten lassen?
    Der Mond schien in sein Weinglas.
    Er erinnerte sich an den Moment, vor ein paar Tagen, als er neben Lea lag, versorgt mit Wärme, Nähe und Düften, und sie schwiegen lange, schauten sich in die Augen, schlossen die Augen, um sich auszuruhen von den Blicken, und die Welt war still und glücklich über sich selbst. In diesem sehr konzentrierten und kostbaren Moment nahm Jensen den Tod an. Er wäre ohne Widerstand und Bedauern gestorben, wenn es hätte sein müssen, denn schöner konnte es nicht werden. Die Dankbarkeit darüber machte den

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