Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
einsiehst.«
Nasuada öffnete die Augen. Sie lag immer noch auf dem Stein, ihre Handgelenke und Knöchel waren gefesselt und die Wunden, die ihr die Bohrmaden ins Fleisch gefressen hatten, pochten, als hätten sie nie damit aufgehört.
Sie runzelte die Stirn. War sie bewusstlos gewesen oder hatte sie gerade mit dem König gesprochen? Es war so schwer zu sagen, wann …
In einer Ecke des Raums sah sie das Ende einer dicken grünen Weinranke, die sich zwischen den bemalten Kacheln hindurchzwängte und sie zerbrach. Weitere Ranken erschienen neben der ersten. Sie schoben sich von außen durch die Wand, wanden sich auf dem Boden und bedeckten ihn mit einem Meer aus zuckenden, schlangenähnlichen Trieben.
Während Nasuada beobachtete, wie die Ranken auf sie zugekrochen kamen, begann sie zu kichern. Ist das alles, was ihm einfällt? Ich habe fast jede Nacht seltsamere Träume.
Wie zur Antwort auf ihren Spott sank der Stein unter ihr in den Boden und die peitschenden Ranken schlossen sich um sie, wanden sich um ihre Glieder und hielten sie fester als jede Kette. Es wurde dunkel, als sich die Ranken über ihr vervielfachten, und das Einzige, was sie hören konnte, war das Geräusch der übereinander hinweggleitenden Ranken: ein trockenes Knirschen wie von rieselndem Sand.
Die Luft um sie herum wurde heiß und stickig und sie hatte das Gefühl, kaum atmen zu können. Hätte sie nicht gewusst, dass die Ranken nur eine Illusion waren, wäre sie in diesem Moment wohl in Panik geraten. Stattdessen spuckte sie in die Dunkelheit und verfluchte Galbatorix’ Namen. Nicht zum ersten Mal. Und bestimmt nicht zum letzten Mal, da war sie sich sicher. Aber sie würde ihm nicht die Freude machen, ihn merken zu lassen, dass er sie aus der Fassung gebracht hatte.
Licht … Goldene Sonnenstrahlen schienen über eine Reihe sanfter Hügel mit einem Flickenteppich aus Feldern und Weingärten. Sie stand am Rand eines kleinen Innenhofs unter einem Spalier mit purpurn blühender Prunkwinde, deren Ranken unbehaglich vertraut wirkten. Sie trug ein wunderschönes gelbes Kleid. In der rechten Hand hielt sie einen Kristallkelch und auf ihrer Zunge lag der reiche Kirschgeschmack des Weins. Eine leichte Brise wehte von Westen. Die Luft roch nach Wärme und Trost und frisch gepflügtem Land.
»Ah, da bist du ja«, sagte eine Stimme hinter ihr, und als sie sich umdrehte, sah sie Murtagh aus dem großen Anwesen kommen. Wie sie hielt er einen Weinkelch in der Hand. Er trug schwarze Beinkleider und ein Wams aus weinrotem Satin mit goldenen Paspeln. An seinem Gürtel hing ein juwelenbesetzter Dolch. Sein Haar war länger, als sie es in Erinnerung hatte, und er wirkte so entspannt und zuversichtlich, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Das stand ihm ausnehmend gut – in dem goldenen Licht wirkte er attraktiv, ja sogar edel.
Er trat zu ihr unter das Spalier und legte eine Hand auf ihren nackten Arm. Die Geste wirkte ungezwungen und vertraut. »Du Biest, mich mit Fürst Ferros und seinen endlosen Geschichten allein zu lassen. Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um ihn loszuwerden.« Dann hielt er inne und betrachtete sie eingehender. Sein Gesicht nahm dabei einen besorgten Ausdruck an. »Fühlst du dich nicht gut? Deine Wangen sind ja ganz blass.«
Sie öffnete den Mund, aber es kam kein Wort über ihre Lippen. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
Murtagh legte die Stirn in Falten. »Du hattest wieder einen deiner Anfälle, nicht wahr?«
»Ich – ich weiß es nicht … Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich hierhergekommen bin oder …« Sie verstummte, als sie den Schmerz sah, der in Murtaghs Augen trat, den er jedoch schnell verbarg.
Er ließ seine Hand über ihren Rücken gleiten, als er an ihre Seite trat, um auf die sanften Hügel hinauszuschauen. Mit einer schnellen Bewegung leerte er seinen Kelch. Dann sagte er leise: »Ich weiß, wie verwirrend das für dich ist … Es ist nicht das erste Mal, dass es passiert, aber …« Er holte tief Luft und schüttelte schwach den Kopf. »Was ist das Letzte, woran du dich erinnern kannst? Teirm? Aberon? Die Belagerung von Cithrí? … Das Geschenk, das ich dir in jener Nacht in Eoam gegeben habe?«
Sie wurde auf einmal schrecklich unsicher. »Urû’baen«, flüsterte sie. »Die Halle der Wahrsagerin. Das ist meine letzte Erinnerung.«
Einen Moment spürte sie, wie seine Hand auf ihrem Rücken zitterte, aber sein Gesicht verriet nichts.
»Urû’baen«, wiederholte er heiser und sah sie
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