Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
Kontrolle über seine Gedanken. Trotz all seiner Übungen mit Glaedr, Arya und Saphira konnte er den Angriff nicht abwehren; er konnte ihn nicht einmal verlangsamen. Genauso gut hätte er versuchen können, mit bloßen Händen die Flut des Meeres aufzuhalten.
Um sich herum nahm er nichts wahr als verschwommenes Licht und das zusammenhanglose Brüllen, während der jammernde Chor sich Zugang zu jedem Winkel seines Wesens erzwang. Dann fühlte es sich an, als zerreiße der Eindringling seinen Geist in ein halbes Dutzend Teile – von denen jedes sich der anderen Teile bewusst blieb, während keines tun konnte, was es wollte –, und seine Sicht zersplitterte, als sehe er den Raum durch die Facetten eines Edelsteins.
Sechs verschiedene Erinnerungen begannen durch sein zersplittertes Bewusstsein zu rasen. Er hatte sich nicht aus freien Stücken für sie entschieden, sie erschienen einfach und sie flossen schneller, als er ihnen folgen konnte. Gleichzeitig bog und drehte sein Körper sich in verschiedene Haltungen, dann hob sein Arm Brisingr, sodass seine Augen die Klinge sehen konnten, und er betrachtete sechs identische Versionen des Schwertes. Der Eindringling ließ ihn sogar einen Zauber wirken, dessen Zweck er nicht verstand und nicht verstehen konnte, denn seine einzigen Gedanken waren die, die der andere zuließ. Und er nahm auch kein anderes Gefühl wahr als das einer langsam nachlassenden Sorge.
Stunden schienen zu vergehen, während der fremdartige Geist jede einzelne seiner Erinnerungen prüfte, von dem Moment an, als er vom Haus seiner Familie aufgebrochen war, um im Buckel auf die Jagd zu gehen – drei Tage, bevor er Saphiras Ei gefunden hatte –, bis zur Gegenwart. Irgendwo tief in seinem Inneren konnte Eragon spüren, dass mit Saphira das Gleiche geschah, aber dieses Wissen bedeutete ihm nichts.
Wenn er seine Gedanken noch selbst hätte kontrollieren können, hätte er die Hoffnung auf Erlösung schon längst aufgegeben, doch endlich setzte der wirbelnde Chor die Teile seines Geistes vorsichtig wieder zusammen und zog sich zurück.
Eragon taumelte vorwärts, stolperte und landete auf einem Knie, bevor er sich abfangen konnte. Neben ihm schwankte Saphira und schnappte wild ins Leere.
Wie?, dachte er. Wer?
Sie beide gleichzeitig zu überwältigen und Glaedr ebenfalls, wie er vermutete, hätte er nicht einmal Galbatorix zugetraut.
Wieder drängte sich das Bewusstsein gegen Eragons Geist, aber diesmal griff es nicht an. Diesmal sagte es: Wir entschuldigen uns, Saphira. Wir entschuldigen uns, Eragon, aber wir mussten uns von euren Absichten überzeugen. Willkommen im Verlies der Seelen. Wir haben lange auf euch gewartet. Und auch du, Vetter, sei mir willkommen: Wir freuen uns, dass du noch lebst. Nimm jetzt deine Erinnerungen und wisse, dass deine Aufgabe endlich erfüllt ist!
Ein Energiestrahl blitzte zwischen Glaedr und dem fremden Bewusstsein auf. Einen Moment später stieß Glaedr ein geistiges Brüllen aus, bei dem Eragons Schläfen vor Schmerz pochten. Verworrene Gefühle wallten in dem goldenen Drachen auf: Schmerz, Triumph, Ungläubigkeit, Bedauern, und stärker als all das ein Gefühl von glücklicher Erleichterung, das so tief war, dass Eragon unwillkürlich lächeln musste. Und als er Glaedrs Geist streifte, spürte er nicht nur einen einzigen fremden Geist, sondern eine Vielzahl davon, und sie alle wisperten und murmelten.
»Wer?«, flüsterte Eragon.
Der Mann vor ihnen mit dem Kopf eines Drachen hatte sich nicht um einen Zoll bewegt.
Eragon, sagte Saphira. Schau dir die Wand an. Schau dir …
Er sah sie sich an. Und er sah, dass die Wand ringsherum nicht mit Kristallen besetzt war, wie er zuerst angenommen hatte. Stattdessen bedeckten Dutzende und Aberdutzende Nischen die Wand und in jeder Nische lag eine glitzernde Kugel. Einige waren groß, einige klein, aber alle pulsierten in einem sanften inneren Schein, wie Kohlen, die in einem verlöschenden Lagerfeuer schwelten.
Eragons Herz setzte einen Schlag aus, als es ihm dämmerte.
Er senkte den Blick zu den dunklen Gegenständen auf den Stufen darunter. Sie waren glatt und eiförmig und schienen aus Steinen von unterschiedlicher Farbe gemeißelt zu sein. Wie bei den Kugeln waren einige groß und einige klein, aber egal, wie groß sie waren, diese Form würde er überall erkennen.
Hitze wallte über ihn hinweg und seine Knie wurden schwach. Das kann nicht sein. Er wollte glauben, was er sah, aber er befürchtete, es könnte eine
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