Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
anstelle von Rauch stieg eine Dampfwolke auf und erfüllte die Luft mit einem unangenehmen Geruch.
Schrecken und Aufregung beschleunigten Rorans Handgriffe. Hoffentlich stirbt sie nicht, dachte er und erinnerte sich daran, was die Frauen über Elains Alter und ihre schon zu lange dauernde Schwangerschaft gesagt hatten. Sie war immer freundlich zu ihm und Eragon gewesen und er hatte sie gern.
»Bist du so weit?«, fragte Katrina, als sie aus dem Zelt kam und sich noch einen blauen Schal um Kopf und Hals schlang.
Er griff nach seinem Gürtel und seinem Hammer. »Ja. Gehen wir.«
DER PREIS DER MACHT
B
itte sehr, Herrin. Die werdet Ihr nicht mehr brauchen. Und ich würde sagen, gut, dass Ihr sie los seid.«
Mit einem leisen Rascheln glitt das Leinen von Nasuadas Unterarmen, als ihre Magd Farica ihr den letzten Verband abnahm. Nasuada hatte diese Verbände seit dem Tag getragen, an dem sie und der Feldherr Fadawar einander der Probe der Langen Messer unterzogen hatten.
Nasuada hatte unverwandt und reglos einen langen, zerlumpten Wandteppich voller Löcher angestarrt, während Farica ihrer Pflicht nachging. Dann wappnete sie sich innerlich und senkte langsam den Blick. Seit ihrem Sieg bei der Probe der Langen Messer hatte sie sich geweigert, ihre Wunden noch einmal anzuschauen. Noch frisch, waren sie ihr so grauenvoll erschienen, dass sie ihren Anblick nicht mehr ertragen hätte, bevor sie nicht vollständig verheilt waren.
Die Narben waren asymmetrisch: Sechs zogen sich schräg über die Innenseite ihres linken Unterarms, drei über ihren rechten. Alle Narben waren drei bis vier Zoll lang und schnurgerade – bis auf die unterste an ihrem rechten Arm. Bei diesem letzten Schnitt war ihre Selbstbeherrschung ins Wanken geraten und sie war mit dem Messer abgerutscht. Es hatte eine gezackte Linie in ihr Fleisch gerissen, die fast doppelt so lang war wie die anderen Schnitte. Die Haut rund um die Narben war rosig und wulstig, während die Narben selbst nur ein klein wenig heller waren als der Rest ihrer Haut. Dafür war sie dankbar. Sie hatte befürchtet, dass am Ende weiße und silbrige Stellen zurückbleiben würden, die sich auffällig abzeichneten. Die Narben waren leicht erhaben und bildeten harte Fleischwülste, die aussahen, als hätte man ihr glatte Stahlstäbe unter die Haut geschoben.
Nasuada betrachtete die Male mit zwiespältigen Gefühlen. Ihr Vater hatte sie während ihrer Kindheit und Jugend die Bräuche ihres Volkes gelehrt, aber sie hatte ihr ganzes Leben unter Varden und Zwergen verbracht. Die einzigen Rituale der umherziehenden Stämme, die sie befolgte – und auch die nur unregelmäßig –, hingen mit ihrer Religion zusammen. Sie hatte nie danach gestrebt, den Trommeltanz zu beherrschen oder an der mühsamen Zeremonie der Anrufung der Namen teilzunehmen, noch hatte es sie danach verlangt – das sogar am allerwenigsten –, irgendjemanden in der Probe der Langen Messer zu bezwingen. Und doch stand sie nun hier, immer noch jung und immer noch schön, und trug bereits diese neun großen Narben an ihren Unterarmen. Sie könnte natürlich einem der Magier der Varden befehlen, sie zu entfernen, aber dann würde sie ihren Sieg in der Probe der Langen Messer einbüßen und die umherziehenden Stämme würden ihr die Anerkennung als ihre Lehnsherrin verweigern.
Obwohl sie bedauerte, dass ihre Arme nicht mehr glatt waren und nicht länger die bewundernden Blicke der Männer auf sich ziehen würden, war sie auch stolz auf die Narben. Sie waren ein Zeugnis ihres Mutes und ein sichtbares Zeichen ihrer Loyalität gegenüber den Varden. Jeder, der Nasuada ansah, würde wissen, mit wem er es zu tun hatte, und sie beschloss, ihrem Ansehen mehr Gewicht beizumessen als ihrem Aussehen.
»Was denkt Ihr?«, fragte sie und hielt König Orrin, der am offenen Fenster stand und auf die Stadt hinuntergeblickt hatte, ihre vernarbten Arme hin.
Orrin wandte sich um und runzelte die Stirn, die Augen dunkel unter seinen gefurchten Brauen. Er hatte seine Rüstung bereits gegen ein dickes rotes Wams und eine mit weißem Hermelin besetzte Robe eingetauscht. »Ich finde, es ist kein angenehmer Anblick«, antwortete er und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Stadt. »Bedeckt Euch. So könnt Ihr Euch in Gesellschaft nicht zeigen.«
Nasuada musterte ihre Arme noch einen Moment länger. »Nein, ich denke nicht, dass ich das tun werde.« Sie zupfte die Spitzenbündchen ihrer halblangen Ärmel zurecht und entließ
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