Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
Werlicht, das er unter dem Zeltdach schweben ließ. Die sanfte weiße Kugel produzierte keine erkennbare Wärme, aber so viel Licht wie eine helle Laterne. Er verzichtete mit Absicht darauf, das Wort Brisingr in dem Zauber zu benutzen, um nicht die Klinge seines Schwertes in Brand zu setzen.
Gertrude, die hinter ihm stand, gab keinen Laut von sich, und als er sich umdrehte, sah er, dass sie das Werlicht anstarrte und den Beutel umklammert hielt, den sie mitgebracht hatte. Ihr vertrautes Gesicht erinnerte ihn an zu Hause, an Carvahall, und ein unerwarteter Anflug von Heimweh überkam ihn.
Langsam senkte sie den Blick, bis sie ihm in die Augen sehen konnte. »Wie sehr du dich verändert hast«, sagte sie. »Den Jungen, an dessen Bett ich einst gewacht habe, als er gegen das Fieber kämpfte, gibt es schon lange nicht mehr, denke ich.«
»Du kennst mich immer noch gut«, erwiderte er.
»Nein, ich glaube nicht, dass ich das tue.«
Diese Feststellung beunruhigte ihn, aber er hatte keine Zeit, darüber nachzugrübeln. Deshalb verdrängte er diese Gedanken und ging hinüber zu seinem Feldbett. Unendlich sanft legte er das Neugeborene auf die Decke, so vorsichtig, als sei die Kleine aus Glas. Sie winkte mit einer geballten Faust. Er lächelte und tippte mit dem Finger an die kleine Faust, und sie brabbelte leise.
»Was hast du vor?«, wollte Gertrude wissen, während sie sich auf den einzigen Hocker im Zelt setzte. »Wie willst du sie heilen?«
»Ich weiß es noch nicht genau.«
Da erst bemerkte Eragon, dass Arya ihnen nicht in das Zelt gefolgt war. Er rief ihren Namen und kurz darauf antwortete sie von draußen, wobei die dicke Zeltplane ihre Stimme dämpfte. »Ich bin hier«, sagte sie. »Und ich werde hier warten. Wenn du mich brauchst, musst du nur deine Gedanken in meine Richtung lenken, und ich werde kommen.«
Eragon runzelte leicht die Stirn. Er hatte darauf gezählt, sie während der Heilung neben sich zu haben, damit sie einspringen konnte, wenn er sich nicht genügend auskannte, und eingriff, wenn er einen Fehler machte.
Also gut, was soll’s. Ich kann ihr immer noch Fragen stellen, wenn ich will. Und so wird Gertrude keinen Grund haben, zu befürchten, dass Arya irgendetwas mit dem Mädchen anstellt. Es erstaunte ihn, welche Vorsichtsmaßnahmen Arya ergriff, um nicht den Verdacht zu erwecken, dass das Mädchen ein Wechselbalg sein könnte. Er fragte sich, ob man sie jemals bezichtigt hatte, ein Kind gestohlen zu haben.
Der Rahmen der Liege knarrte, als er sich vorsichtig darauf niederließ und sich dem Säugling zuwandte. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. Er spürte, wie Saphira durch seine Augen das Mädchen musterte, das da auf den Decken lag. Es döste jetzt und schien von der Welt um sich herum nichts mitzubekommen. Seine Zunge schimmerte in der Spalte, die seine Oberlippe teilte.
Was denkst du?, fragte er.
Mach langsam, damit du dir nicht versehentlich in den Schwanz beißt.
Er stimmte ihr zu, doch dann fragte er spitzbübisch: Hast du das je getan? Ich meine, dir in den Schwanz gebissen?
Sie antwortete nicht, aber er fing ein kurzes Aufblitzen von Empfindungen auf, eine Reihe von Bildern: Bäume, Gras, Sonnenschein, die Berge des Buckels, außerdem den süßen Duft von roten Orchideen und einen jähen Schmerz, als habe sie sich den Schwanz in einer Tür eingeklemmt.
Eragon kicherte still in sich hinein, doch dann konzentrierte er sich darauf, passende Zauber für die Heilung des Mädchens auszuwählen und zusammenzustellen. Es dauerte eine ganze Weile, fast eine halbe Stunde. Er und Saphira verbrachten den größten Teil der Zeit damit, die geheimnisvollen Sätze wieder und wieder durchzugehen und jedes Wort und jede Formulierung – sogar die Aussprache – zu überprüfen und zu erörtern, um sicherzustellen, dass die Zauber genau das bewirkten, was sie sollten, und nichts anderes.
Mitten in ihrer stummen Zwiesprache wurde Gertrude auf ihrem Hocker unruhig und sagte: »Sie sieht immer noch genauso aus wie zuvor. Die Sache geht schief, habe ich recht? Du brauchst mir nichts vorzumachen, Eragon. Ich habe schon viel schlimmere Dinge erlebt.«
Eragon zog die Augenbrauen hoch und antwortete sanft: »Ich habe noch gar nicht angefangen.«
Kleinlaut ließ Gertrude sich zurücksinken. Aus ihrer Tasche zog sie ein gelbes Garnknäuel hervor, einen halb fertigen Pullover und zwei Stricknadeln aus poliertem Birkenholz. Ihre geübten Finger bewegten sich flink und sie begann ein einfaches Muster zu
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