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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Brandwunden auf.
    »Sie können hier nicht herkommen«, sagte er mit einer Stimme, die weder wie die eines Erwachsenen noch wie die eines Kindes klang.
    Carl zeigte ihm seine Marke, aber der junge Mann verstand offenkundig nicht, was die bedeutete.
    »Ich bin ein Polizist«, sagte Carl freundlich. »Wir möchten gern mit deiner Mutter sprechen. Wir wissen, dass sie hier wohnt. Meinst du, du kannst sie fragen, ob wir kurz hereinkommen dürfen? Das würde mich sehr freuen.«
    Den Typ beeindruckten weder die Polizeimarke noch die beiden Männer. Vielleicht war er doch nicht so einfältig, wie der erste Eindruck glauben machte.
    »Wie lange soll ich noch warten?« Jetzt wurde Carl barsch.
    Der Kerl zuckte zusammen. Dann verschwand er im Haus.
    Ein paar Minuten vergingen, und Carl spürte, wie der Druck auf seiner Brust zunahm. Er verfluchte sich, dass er die Dienstwaffe seit seiner Krankschreibung in der Waffenkammer des Präsidiums gelassen und nie mehr angerührt hatte.
    »Bleib hinter mir, Assad«, sagte er. Er konnte schon die Schlagzeilen der morgigen Zeitungen sehen. »Kripobeamter opfert Assistent bei Schießerei. Zum dritten Mal in kürzester Zeit liefert Vizepolizeikommissar Mørck vom Sonderdezernat Q des Polizeipräsidiums Schlagzeilen.«
    Er gab Assad einen Schubs, um zu unterstreichen, wie ernst er es meinte, und stellte sich ganz dicht an den Türrahmen. Kämen sie mit einer Schrotflinte oder etwas in der Art, sollte der Gewehrlauf nicht gleich auf seinen Kopf gerichtet sein.
    Da kam der junge Mann und bat sie, hereinzukommen.
    Sie saß in einem Rollstuhl etwas zurückgesetzt im Raum und rauchte eine Zigarette. Ihr Alter war schwer zu schätzen, so grau und verbraucht sah sie aus. Aber dem Alter des Sohnes nach zu urteilen, konnte sie kaum älter als Anfang sechzig sein. Auch im Rollstuhl sitzend, wirkte sie gebeugt. Die merkwürdig plumpen Unterschenkel wirkten wie abgebrochene Äste, als hätten sie selbst herausfinden müssen, wie sie zusammenwachsen sollten. Der Autounfall hatte wahrhaftig seine Spuren hinterlassen, es war erbärmlich und traurig anzusehen.
    Carl blickte sich um. Er befand sich in einer sehr großen Halle von etwa zweihundertfünfzig Quadratmetern. Obwohl die Deckenhöhe an die vier Meter betrug, stank es nach Qualm. Sein Blick folgte dem Rauch ihrer Zigarette bis zur Decke hinauf. Nur zehn kleine Velux-Dachfenster befanden sich dort, sodass es recht dunkel war.
    Diese Halle enthielt alles. Die Küche neben der Eingangstür, an der Seite die Toilettentür. Der Wohnbereich, mit Ikeamöbeln und billigen Teppichen ausgestattet, erstreckte sich etwa fünfzehn bis zwanzig Meter bis zu dem Bereich, wo sie anscheinend schlief.
    Abgesehen von der schlechten Luft war hier drin alles in schönster Ordnung. Hier stand der Fernseher, hier las sie Illustrierte und hier verbrachte sie vermutlich den größten Teil ihres Lebens. Ihr Ehemann war gestorben, und nun versuchte sie, so gut es ihr möglich war, zurechtzukommen. Sie hatte ja den Jungen, der ihr behilflich sein konnte.
    Carl bemerkte, wie Assads Blick langsam durch den Raum wanderte. Irgendwie hatten seine Augen etwas Teuflisches, wie sie über alles glitten, dann und wann haltmachten und sich an einem Detail festsogen. Er war hoch konzentriert, die Arme hingen schwer am Körper herunter, die Beine waren parallel auf den Boden gepflanzt.
    Sie empfing sie verhältnismäßig freundlich, gab aber nur Carl die Hand. Er stellte sie beide vor und sagte, es bestehe kein Grund zur Beunruhigung. Sie suchten ihren ältesten Sohn, Lars Henrik, sagte Carl. Sie hätten ein paar Fragen an ihn, nichts Besonderes, reine Routine. Ob sie wüsste, wo sie ihn finden könnten.
    Sie lächelte. »Lasse ist mit dem Schiff unterwegs«, sagte sie. Sie nannten ihn also Lasse. »Er ist im Moment nicht zu Hause, aber in einem Monat ist er wieder an Land. Dann sage ich es ihm. Haben Sie eine Visitenkarte, die ich ihm geben kann?«
    »Nein, leider nicht.« Auf seinen Versuch, freundlich zu lächeln, reagierte sie nicht. »Ich schicke Ihnen meine Karte, sobald ich im Büro bin.« Wieder versuchte er es mit dem Lächeln. Diesmal war das Timing besser. Das war die goldene Regel: Sag erst etwas Positives und lächele dann, dann wirkst du aufrichtig. Andersherum kann ein Lächeln alles Mögliche bedeuten. Einschmeicheln. Flirt. Alles, was für einen selbst am besten ist. So viel wusste die Frau also doch vom Leben.
    Er machte Anstalten, sich zurückzuziehen, und fasste Assad am

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