Erbarmen
Gebäude übernommen hatte.
So gut er konnte, überflog er den handschriftlichen Text. An dem Wort »Druckkammer« blieb er hängen.
Er hob den Kopf und blickte auf eine Nahaufnahme von Merete Lynggaard, die über dem Papierstapel hing. Das Wort Druckkammer polterte ihm noch einmal durch den Kopf.
Er bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken. Konnte das sein? Der Gedanke war über die Maßen entsetzlich. Ihm brach der Schweiß aus.
»Was ist los, Carl?«
»Geh nach draußen und behalte den Platz im Auge, Assad. Schnell.«
Sein Partner wollte noch etwas fragen, aber Carl wimmelte ihn ungeduldig ab. »Los, Assad. Und pass auf. Nimm das hier mit.« Er gab Assad das Brecheisen, mit dem sie die Schlösser aufgebrochen hatten.
Carl wandte sich dem letzten Papierstoß zu und blätterte ihn rasch durch. Viele mathematische Berechnungen, zumeist von Henrik Jensens Hand, aber auch von einem anderen. Doch das war nicht das, wonach er suchte.
Nach einmal betrachtete er die messerscharfe Aufnahme von Merete Lynggaard. Sie war aus nächster Nähe entstanden, aber vermutlich, ohne dass sie es bemerkt hatte. Sie schaute etwas zur Seite, ihre Augen zeigten einen ganz besonderen Ausdruck. Etwas Lebhaftes, Ausgelassenes, das auf den Betrachter ansteckend wirkte. Carl war sich sicher, dass Lasse das Bild nicht deshalb aufgehängt hatte. Eher im Gegenteil. Am Rand des Fotos waren viele Löcher, es war vermutlich sehr oft abgenommen und wieder aufgehängt worden.
Er zog die vier Nadeln, mit denen die Fotografie an die Pinnwand geheftet war, eine nach der anderen heraus. Dann nahm er das Foto und drehte es um.
Was da auf der Rückseite geschrieben stand, war das Werk eines Verrückten.
Er las es immer wieder.
»Deine gemeinen Augen werden dir aus dem Kopf glitschen. Dein närrisches Lächeln wird in Blut ertränkt. Deine Haare werden verwesen, und die Gedanken werden zu Staub. Die Zähne werden verfaulen. Man wird dich in Erinnerung behalten als das, was du bist: eine Nutte, eine läufige Hündin, eine Teufelin, eine verfluchte Mörderin, Merete Lynggaard. Du musst sterben.«
Und darunter war hinzugefügt:
6-7-2002 2 bar
6-7-2003 3 bar
6-7-2004 4 bar
6-7-200 5 bar
6-7-2006 6 bar
15-5-2007 1 bar
Carl blickte über seine Schulter. Ihm war, als zögen sich die Wände um ihn zusammen. Er legte den Kopf in die Hände und dachte nach. Sie hatten sie, davon war er überzeugt. Sie war ganz in der Nähe. Hier stand, sie würden sie in fünf Wochen töten, am 15. Mai, aber wahrscheinlich hatten sie es schon getan. Er und Assad hatten das provoziert, das fühlte er. Und es war hier, in dieser Umgebung passiert. Mit Sicherheit.
Was mache ich bloß? Wer weiß über so was Bescheid?, dachte er und überlegte krampfhaft.
Er nahm sein Handy und gab die Nummer von
Kurt Hansen ein, seinem alten Kollegen, der für die Rechten im Parlament gelandet war.
Er ging rasch auf und ab, während er auf den Klingelton lauschte.
Als er die Verbindung gerade unterbrechen wollte, meldete Kurt Hansen sich mit einem Räuspern.
Carl bat ihn, den Mund zu halten, einfach nur zuzuhören und schnell zu denken. »Frag nicht, antworte nur.«
»Was passiert, wenn man eine Person über einen Zeitraum von fünf Jahren einem Überdruck von bis zu sechs bar aussetzt und dann den Druck plötzlich absenkt?«, wiederholte Kurt. »Was ist das denn für eine komische Frage. So eine Situation ist doch sehr hypothetisch, oder?«
»Kurt, antworte einfach. Ich kenne niemanden außer dir, der etwas über solche Sachen weiß. Du hast ein Diplom als Berufstaucher. Also sag mir, was dann passiert.«
»Ja, dann stirbt man wohl.«
»Ja, aber wie schnell?«
»Keine Ahnung, aber das wird eine dreckige Angelegenheit.«
»Inwiefern?«
»Alles in einem wird gesprengt. Die Lungenbläschen sprengen die Lungen. Der Stickstoff in den Knochen sprengt das Gewebe, die Organe, ja alles im Körper weitet sich aus, weil überall im Körper Luft ist. Thromben, Gehirnblutung, massive Blutungen, Ja sogar ...«
Carl unterbrach ihn. »Wer kann einem in so einer Situation helfen?«
Kurt Hansen räusperte sich wieder. »Carl, geht es um eine aktuelle Situation?«
»Ich fürchte es sehr, ja.«
»Dann musst du bei der Marine anrufen. Die haben eine mobile Dekompressionskammer. Ein Duocom von Dräger.« Er gab ihm die Telefonnummer, Carl bedankte sich und legte auf.
In kürzester Zeit hatte er die Leute von der Marine informiert. »Beeilt euch, es ist äußerst dringend«, sagte
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