Erbarmen
noch mal wie ein Ei dem anderen! Okay, sie sind ein wenig unterschiedlich, ja, aber es gibt doch sicher zig andere Hemden, die auch so aussehen.«
»Der Typ, der sie sah, arbeitet in einem Bekleidungsgeschäft. Wir glauben ihm. Er war sehr präzise, als er das Hemd zeichnete.«
»Vielleicht hätte er lieber den Mann zeichnen sollen, der in dem Hemd steckte?«
»Ja, das hat er tatsächlich versucht. Gar nicht mal schlecht aber es ist einfach was anderes, ob man einen Menschen zeichnet oder ein Hemd.«
Carl betrachtete die Zeichnung des Gesichts, die sie oben auf die Hemden legten. Ein ganz gewöhnlicher Kerl. Wüsste man es nicht besser, könnte er in Slagelse Kopierer verkaufen. Runde Brille, glatt rasiert, treuherzige Augen und um den Mund ein jugendlicher Zug.
»Das Bild sagt mir nichts. Was meint der Zeuge, wie groß er war?«
»Mindestens eins fünfundachtzig, vielleicht größer.«
Dann nahmen sie die Zeichnung weg und deuteten auf die Hemden. Er betrachtete sie gründlich, jedes für sich. So direkt nebeneinander waren sie verdammt ähnlich.
Er schloss die Augen und versuchte das Hemd vor sich zu sehen.
»Was ist dann passiert?«, fragte Assad, als sie nach Kopenhagen zurückfuhren.
»Nichts. Für mich sahen sie alle gleich aus. Ich kann mich an das verdammte Hemd einfach nicht mehr so genau erinnern.«
»Und hast du vielleicht ein Foto von den Hemden mitbekommen?«
Carl antwortete nicht. In Gedanken war er weit weg. Gerade sah er Anker neben sich auf dem Fußboden liegen, tot, und Hardy, der über ihm keuchte. Verflucht, warum hatte er nicht sofort geschossen. Er hätte sich ja bloß umzudrehen brauchen, als er hörte, wie die Männer in die Baracke kamen, dann wäre das alles nicht passiert. Dann säße Anker jetzt neben ihm am Steuer des Wagens statt dieses komischen Assad. Und Hardy! Hardy wäre nicht für den Rest seines Lebens ans Bett gefesselt, verdammt noch mal!
»Hätten sie dir nicht einfach die Fotos schicken können, Carl?«
Er sah seinen Fahrer an. Manches Mal spiegelte sich in den Augen unter diesen dicken Brauen etwas so teuflisch Unschuldsvolles.
»Klar, Assad. Hätten sie natürlich tun können.«
Er sah zu den Schildern über der Autobahn. Nur noch zwei Kilometer bis Tåstrup.
»Bieg hier ab«, sagte er.
»Warum das?«, fragte Assad, während der Wagen mit zwei Rädern die durchgezogene Linie kreuzte.
»Weil ich gern den Ort sehen will, an dem Daniel Hale umkam.«
»Wer?«
»Der Typ, der sich für Merete Lynggaard interessierte.«
»Woher weißt du denn davon, Carl?«
»Bak hat es mir erzählt. Hale kam bei einem Autounfall ums Leben. Ich habe hier den Bericht der Verkehrspolizei.«
Assad pfiff leise, als wären Autounfälle eine Todesursache, die nur denen beschieden waren, die wirklich, wirklich Pech hatten.
Carl registrierte die Geschwindigkeit, die auf dem Tachometer angezeigt wurde. Vielleicht sollte Assad versuchen, etwas vorsichtiger mit dem Gaspedal umzugehen, damit nicht auch er eines Tages Teil der Statistik wurde.
Auch wenn es fünf Jahre her war, seit Daniel Hale auf der Landstraße bei Kappelev ums Leben gekommen war, war die Stelle, an der der Unfall stattgefunden hatte, nicht schwer zu finden. Man hatte das Gebäude, in das der Wagen gerast war, zwar notdürftig repariert, und die gröbsten Rußspuren hatte der Regen inzwischen abgespült. Aber soweit Carl erkennen konnte, war der größte Teil der Versicherungssumme mit Sicherheit einem anderen Zweck zugeführt worden.
Er blickte die Straße hinunter. Das war ein ziemlich langes Stück, gut einsehbar. Was für ein verdammtes Pech, dass der Mann ausgerechnet in dieses hässliche Haus donnern musste. Nur zehn Meter davor oder danach und sein Wagen wäre über die Felder gerutscht.
»Wirklich Pech. Was meinst du, Carl?«
»Verdammt viel Pech.«
Assad trat nach einem Baumstumpf, der noch immer vor der abgeschrammten Mauer stand. »Er raste in den Baum, der knickte um wie ein Streichholz, und dann knallte er gegen das Haus, und das Auto geriet in Brand?«
Carl nickte und drehte sich um. Er wusste aus dem Unfallbericht, dass ein Stück weiter unten eine Stichstraße abzweigte. Bestimmt war das andere Auto von dort gekommen.
Er deutete nach Norden. »Daniel Hale kam in seinem Citroen aus Tåstrup. Laut Aussage des anderen Fahrers und den Vermessungen zufolge sind sie genau dort aufeinandergeknallt.« Er deutete zum Mittelstreifen. »Vielleicht war Hale eingeschlafen? Jedenfalls geriet er über
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