Erbarmen
aufgehübschtem Beton. Er hätte es nie für möglich gehalten, aber jetzt hatte diese Entwicklung auch seine Stadt erreicht. Einzigartige, langsam gewachsene Stadtlandschaften wurden zerstört. Bürgermeister und Stadtverordnete ohne Geschmack gab es überall. Das hier war der eindeutige Beweis.
Zu Hause im Rønneholtpark war die Grillmannschaft wieder aktiv, aber das Wetter war ja auch danach. Es war kurz vor halb sieben und erst der 22. März 2007. Eindeutig Frühlingsanfang!
Morten Holland hatte sich dem Anlass des Tages entsprechend in flatternde Gewänder gehüllt, die er von einer Reise nach Marokko mitgebracht hatte. In dieser Uniform hätte er binnen zehn Sekunden eine neue Sekte gründen können. »Genau zur rechten Zeit, Carl«, sagte er und legte ihm zwei Rippchen auf den Teller.
Seine Nachbarin Sysser Petersen schien schon leicht einen im Tee zu haben. »Ich habe bald keine Lust mehr«, sagte sie. »Ich verkauf den Mist und ziehe weg.« Sie nahm einen großen Schluck Rotwein. »In der Verwaltung verwenden wir mehr Zeit darauf, irgendwelche idiotischen Formulare auszufüllen, als den Bürgern zu helfen, hast du das gewusst, Carl? Dieses selbstgefällige Volk in der Regierung, die sollten das mal selbst machen müssen. Wenn die Formulare ausfüllen müssten, damit sie kostenloses Essen bekommen und kostenlose Chauffeure und die Miete und Diäten und ihre Reisen und Sekretäre und den ganzen Mist, dann hätten sie keine Zeit, was zu fressen oder zu schlafen oder zu reisen oder zu fahren oder was auch immer. Stell dir das mal bildlich vor. Dass der Staatsminister ankreuzen muss, worüber er mit seinen Ministern reden will, ehe die Konferenz anfängt. In dreifacher Ausfertigung, auf einem Computer ausgedruckt, der nur jeden zweiten Tag funktioniert. Und dass er die erst zu irgend so einem Beamten weiterschicken muss, um sie absegnen zu lassen, ehe er das überhaupt weitersagen darf. Der Mann würde ja umkommen.« Ihr Kopf kippte vor Lachen in den Nacken.
Carl nickte. Bald würden sie wieder über das Recht des Kulturministers diskutieren, den Medien einen Maulkorb anzulegen, oder ob sich überhaupt noch jemand an die Gründe erinnern konnte, weshalb die Gemeinden zusammengelegt wurden oder die Krankenhäuser. Das Gerede würde erst dann ein Ende haben, wenn der letzte Schluck ausgetrunken und das letzte Rippchen abgenagt war.
Er nahm Sysser kurz in den Arm, klopfte Kenn auf die Schulter und nahm den Teller mit auf sein Zimmer. Eigentlich waren sie sich ja sowieso alle einig. Mehr als die Hälfte des Landes wünschte den Staatsminister dahin, wo der Pfeffer wächst, und das würden sie auch heute und morgen und übermorgen tun, bis zu jenem Tag, an dem all das Unheil, das er über das Land und die Bürger gebracht hatte, wiedergutgemacht wäre. Das konnte dauern.
Nur hatte Carl im Augenblick anderes im Kopf.
Kap 28 - 2007
Um drei Uhr in der Nacht konnte Carl nicht mehr schlafen. Im Hinterkopf spukte eine vage Erinnerung an rot karierte Hemden und Druckluftnagler und das Gefühl, dass eines der Hemden in Sorø das richtige Muster hatte. Der Puls raste, die Stimmung war im Keller, kurzum, es ging ihm gar nicht gut. Und es gab eine Sache, an die konnte er nicht denken, er schaffte es einfach nicht. Aber wer konnte den Albtraum bremsen?
Und dann zu allem Überfluss noch dieses Großmaul. Pelle Hyttested. Musste ausgerechnet der alles aufreißen? Würde eine der nächsten Headlines im >Gossip< tatsächlich direkt auf einen Kripobeamten zielen, der ohnehin schon in der Scheiße saß?
Verflucht! Allein bei dem Gedanken zog sich ihm der Magen zusammen. Und den Rest der Nacht konnte er vergessen.
»Du siehst müde aus«, meinte Marcus Jacobsen.
Carl fegte den Kommentar mit einem vernichtenden Blick beiseite. »Hast du Bak Bescheid gesagt, dass er kommen soll?«
»In fünf Minuten ist er hier«, sagte der Chef der Mordkommission und lehnte sich vor. »Mir ist aufgefallen, dass du dich noch nicht zu dem Führungskräfteseminar angemeldet hast. Die Frist läuft aus, denk dran.«
»Dann bin ich eben beim nächsten Mal dabei, okay?«
»Carl, du weißt doch, dass wir einen Plan damit verfolgen, oder? Sobald dein Dezernat Ergebnisse vorgewiesen hat, wäre es nur zu natürlich, dass du Hilfe und Unterstützung von deinen alten Kollegen bekommst. Aber was nützt dir das, wenn du ohne die formale Autorität im Rücken dastehst, die dir der Titel Polizeikommissar nun mal verleiht. Du hast keine Wahl.
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