Erbarmen
reagieren konnte, war sie leer.
»Wenn man von ihr einen Schuss mit irgendeinem Lover bekommen hätte, das wäre doch der Scoop gewesen, wie?« Er suchte nach mehr Trinkbarem. »Ein paar Tage vorher glaubte ich, ich hätte was.«
Er warf die Kühlschranktür zu und nahm die Mappe, blätterte darin. »Na ja, hier sind noch die von Merete, wie sie mit Mitgliedern der Dänemarkpartei vor dem Parlamentssaal diskutiert. Von den Negativen habe ich auch Kontaktabzüge.« Er lachte. »Nein, nicht wegen der Diskussion habe ich die Fotos geschossen, sondern wegen der da, die da hinten steht.« Er deutete auf eine Person, die dicht hinter Merete stand. »Ja, also in dieser Größe sieht man es vielleicht nicht so gut, aber Sie sollten es mal sehen, wenn man das ordentlich aufbläst. Ihre neue Assistentin. Die war ja total verknallt in Merete Lynggaard.«
Carl beugte sich vor. Doch, das war eindeutig Søs Narup. Auf diesem Foto hatte sie eine völlig andere Ausstrahlung als dort in ihrem Drachennest in Valby.
»Keine Ahnung, ob zwischen denen was lief oder ob es nur die Assistentin war, die total auf Merete abfuhr. Aber was soll's! Vielleicht hätte das Foto ja irgendwann doch mal was gebracht.« Er blätterte weiter zur nächsten Seite mit Negativen.
»Hier ist es!«, sagte er und pflanzte einen feuchten Finger mitten auf die Plastikhülle. »Ich wusste, es war am 25. Februar, weil meine Schwester da Geburtstag hat. Ich dachte, ich könnte ihr ein super Geschenk kaufen, wenn sich das Foto als Goldgrube erweisen würde.«
Er nahm die Plastikhülle und legte sie auf den Leuchttisch. »Sehen Sie hier, das waren die Aufnahmen, an die ich dachte. Sie stand mit einem Typen auf der Schlosstreppe und unterhielt sich mit ihm.« Dann deutete er auf ein Foto direkt darüber. »Schauen Sie genau hin. Sie sieht irgendwie angespannt aus, finde ich. In ihren Augen ist etwas, das verrät, dass ihr nicht ganz wohl ist in ihrer Haut.« Er drückte Carl eine Lupe in die Hand.
Wie zum Teufel konnte man so etwas auf einem Negativ erkennen? Ihre Augen waren doch nur weiße Flecke.
»Sie hat mich entdeckt, als ich da stand und fotografierte, deshalb bin ich abgehauen. Ich glaube nicht, dass sie je herausfand, wie ich eigentlich aussehe. Anschließend versuchte ich den Typen zu fotografieren, aber ich bekam ihn nicht von vorn, weil er Christiansborg auf dem anderen Weg verließ, in Richtung Brücke. Aber vielleicht war das auch einfach nur irgendein Kerl, der sie im Vorbeigehen belästigte.«
»Haben Sie auch von dieser Serie Kontaktabzüge?«
Hess rülpste ein paarmal, sein Hals musste innerlich glühen. »Kontaktabzüge? Die können Sie haben, wenn Sie inzwischen mal schnell zum Kiosk an der Ecke laufen und ein paar Dosen Bier besorgen.«
Carl nickte. »Erst hab ich noch eine Frage. Wenn Sie so darauf aus waren, Fotos von Merete Lynggaard mit einem Mann zu bekommen, dann haben Sie Merete doch sicher auch mal vor ihrem Haus in Stevns fotografiert, oder?«
Hess blickte nicht auf, studierte nur gründlich die Aufnahmen vor sich.
»Natürlich. Ich war oft dort unten.«
»Dann verstehe ich eines nicht. Sie müssen Merete doch auch mal mit ihrem behinderten Bruder Uffe gesehen haben.«
»Na klar, oft.« Er machte bei einem der Negative ein Kreuz auf die Hülle. »Hier ist ein klasse Foto von ihr und dem Typ. Vielleicht wissen Sie, wer das ist. Dann können Sie es mir ja hinterher erzählen.«
Carl nickte. »Aber warum haben Sie dann nicht richtig gute Fotos von ihr zusammen mit Uffe gemacht? Sodass die ganze Welt erfahren hätte, warum sie es immer so eilig hatte, von Christiansborg wegzukommen?«
»Das hab ich deshalb nicht gemacht, weil ich selbst eine mehrfach behinderte Schwester habe.«
»Aber das ist doch Ihr Job, Sie leben von den Fotos.«
Jonas Hess sah ihn träge an. Wenn Carl nicht bald das Bier holte, würde er halt keine Abzüge bekommen.
»Wissen Sie was«, sagte der Fotograf und sah Carl starr in die Augen. »Auch wenn man wie Dreck behandelt wird, kann man sich doch eine gewisse Würde bewahren. Oder?«
An der Haltestelle Allerød stieg er aus und ging durch die Fußgängerzone. Das Straßenbild wurde immer nur noch schäbiger, stellte er verärgert fest. Betonkästen, als Luxuswohnungen verkleidet, rückten ständig weiter vor. Bald würden die gemütlichen niedrigen alten Häuser auf der anderen Straßenseite auch verschwunden sein. Was vorher ein echter Blickfang gewesen war, daraus wurde nun ein Tunnel aus
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