Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
oben verlief unter einer Menüleiste mit chinesischen Schriftzeichen eine Werkzeugleiste mit Symbolen. »Sieht erst einmal nach einem Standard- CAD -Programm aus«, stellte Weaver fest. »Hast du eine ihrer Datendateien, damit wir uns das genauer ansehen können?«
»Nein«, musste Jonathan zugeben. »Wenn es eine gäbe, würde die NCS sie uns nicht geben.«
»Manchmal klappt’s aber doch«, sagte Weaver hoffnungsvoll. »Ich kann später ein paar Testobjekte bauen, um die Programmfunktionen zu überprüfen. Im Moment kann ich dir schon sagen, dass das hier« – Weaver deutete auf ein paar Schriftzeichen im oberen linken Quadranten – »möglicherweise einfache Bemessungsfelder sind … Höhe, Breite, Skala und so weiter.« Er klickte mehrmals mit der Maus und erzeugte einen Würfel, der auf jedem Quadranten zweidimensional aus einem anderen Blickwinkel gezeigt wurde. Im linken oberen Quadranten erschien der Würfel in drei Dimensionen. »Ja, eindeutig Maßeinheiten, alle anscheinend metrisch … Zentimeter, Meter, egal was. Ich bin mir nicht sicher, was das hier ist.« Er zeigte auf eine Kennzeichnung mit unlesbaren Buchstaben. »Dieses Feld ändert sich nicht, wenn ich die Objektgröße ändere. Ich werde APLAA anrufen. Vielleicht kann mir ein Übersetzer helfen, das Feld zu lesen. Aber wenn alles nicht klappt, werde ich den hinter dem Feld befindlichen Algorithmus einfach rückentwickeln.«
»›Einfach‹«, meinte Jonathan. »Wie lange?«
»Wenn APLAA bereit ist zu helfen, vielleicht ein paar Stunden. Aber das ist unwahrscheinlich.« Weaver klang sehr sicher. »Wir sind hier draußen ein gutes Stück von der Zentrale entfernt. Ein Übersetzer wird bei dem vielen Schnee nicht scharf darauf sein herzukommen, auch wenn ihm die Fahrtkosten erstattet werden.«
»Sie werden sich weigern«, stimmte Jonathan zu. »Und wie lange ohne Übersetzer?«
»Ich muss das Programm zerhacken. Eine Woche, wenn ich ein paar Überstunden mache.«
»Gibt es eine Möglichkeit, die Sache zu beschleunigen?«, wollte Kyra wissen.
Weaver drehte sich ein Stück auf seinem Stuhl und sah zu ihr. Sie war sich nicht sicher, ob ihr sein Blick gefiel. »Ich bin bekannt dafür, mit dem passenden Anreiz kleine Wunder vollbringen zu können.«
»Und welchen Anreiz meinen Sie?«, fragte Kyra.
»Sie und mich. Mittagessen in der Kantine.« Das meinte Weaver völlig ernst.
Kyra ließ sich nichts anmerken. »Sie sind dreist.«
»Die Bescheidenen gehen in diesem Leben immer leer aus«, erwiderte Weaver.
Jonathan hob eine Augenbraue und sah seine Kollegin an. Kyras Gesicht zeigte noch immer keine Regung, ob nun dank ihrer Ausbildung als Führungsoffizier oder aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung mit Softwareingenieuren, konnte Jonathan nicht sagen. »Welchen Texteditor verwenden Sie? Vi oder Emacs?«, fragte sie.
»Emacs.«
»Tut mir leid. Ich bin ein Vi-Mädchen. Ich gehe nicht mit Emacs-Jungs aus.« Jonathan vermutete, Kyra hätte in jedem Fall das andere Programm gewählt.
»Ich werde wechseln.«
»Ich kann keinen Programmierer respektieren, der für eine Frau, die er gerade kennengelernt hat, seinen bevorzugten Texteditor aufgibt. Das zeigt, wie verzweifelt er ist.« Kyra legte genau die richtige Pause ein. »Ich schäme mich für Sie.«
»He, ich bin kein kleiner Linux-Fan, der sich nicht wäscht«, konterte Weaver. »Ich weiß, was man macht, damit ein Mädchen seinen Spaß hat.«
Kyra neigte den Kopf leicht zur Seite und lächelte. Jonathan hatte den Eindruck, dass hier das Training auf der Farm ins Spiel kam – und dass Weaver eindeutig nicht in seinem Metier war. Sich mit einer Frau zu verabreden war für einen Mann schon unter normalen Umständen eine schwierige Übung. Frauen zu jagen, die in verdeckten Ermittlungen und der Rekrutierung von Spionen geübt waren, hob das Spiel auf eine neue Ebene, Südstaatencharme hin oder her.
»Ich mache Ihnen ein Angebot«, sagte sie schließlich. »Sie kehren den Logarithmus um und finden in drei Tagen heraus, was die Zahl für uns bedeutet. Rekonstruieren Sie ihn in C++. Wenn Ihre Interpretation des Algorithmus ausreichend elegant ist, dürfen Sie mich in die Kantine ausführen.«
»Objective-C wäre hübscher.«
»Und ein Betrug, wenn Sie das Cocoa-Framework verwenden. Wenn Sie das tun, gehe ich mit Ihnen nur einen Kaffee trinken. Ich mag Männer, die ihre eigene Root-Klasse von Grund auf schreiben können«, foppte Kyra ihn. Jonathan verstand von den Fachwörtern, die sich die
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