Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
Besuchersofa, das viel älter aussah als das Büro selbst. Auf dem Schreibtisch standen sage und schreibe vier Bildschirme, auf dem Boden zählte Kyra mindestens fünf Rechner, die genau vorhersagen ließen, wohin der Kabelsalat irgendwann einmal führen würde. Der restliche Platz auf dem Schreibtisch war mit Papieren und DVD -Kästen übersät, die mit blauem Permanentstift beschriftet waren. Der Mann hinter dem Schreibtisch mit dem blonden Zweitagebart war einigermaßen attraktiv und noch jung, doch sein fadenscheiniger Militärpullover entsprach kaum dem neuesten Stand der Mode. Sein unschuldiges Lächeln vermittelte Kyra den Eindruck, dass er sich seiner stillosen Kleidung nicht bewusst war.
»Kyra, ich möchte Ihnen Garr Weaver vorstellen«, sagte Jonathan.
»Einer der wenigen hier, die immer noch mit Jonathan sprechen. Wie hat Mr Burke es geschafft, dass Sie mit seiner Aufmachung zurechtkommen?« Weaver sprach mit leichtem Südstaatenakzent, der bei manchen Vokalen einen Neuengland-Einfluss durchschimmern ließ. Wahrscheinlich war er im Süden aufgewachsen und hatte seine Ausbildung im Norden gemacht oder umgekehrt. Kyra vermutete Ersteres, da sein Südstaatenakzent stärker ausgeprägt war als der Bostoner Tonfall.
»Er hat nicht …«, begann Kyra.
»Eine Freiwillige!«, nahm er Kyra die Antwort ab, wobei die Interpretation in die falsche Richtung ging. Er erhob sich und reichte ihr die Hand, bevor sie sich aufs Sofa setzte. Aus der Nähe betrachtet war das Sofa mit Haaren von Hunderten anderen Besuchen übersät. Kyra würde ihre Bluse zu Hause mit einer Fusselbürste traktieren müssen, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen.
»Ich wurde der Abteilung zugeteilt«, erklärte Kyra.
Weavers Augenbrauen hoben sich in gespielter Überraschung. »Der sechste Stock hat die Wehrpflicht wieder eingeführt?«
»Machen Sie sich nichts aus seinem Verhör«, riet Jonathan ihr. »Garr ist eines der emeritierten Mitglieder der Roten Zelle.«
»Vor ein paar Jahren wurde ich turnusmäßig dorthin versetzt, nachdem mich Cookes Zwangsrekrutierer aufgespürt hatten. Jonathan und regelmäßiger Alkoholkonsum haben die Sache erträglich gemacht«, erklärte Weaver. Kyra vermutete, dass der letzte Teil des Satzes nicht stimmte. »Was kann ich für euch tun?«
»Einen Gefallen, hoffe ich.« Jonathan reichte ihm die DVD. »Das ist ein benutzerspezifisches Programm, das von einem chinesischen Raumfahrtunternehmen entwickelt wurde, aber eine Aktualisierung haben wir nicht. Du müsstest es dir einmal ansehen.«
»Hervorragend. Ich liebe es, fremde Programme zu zerpflücken.« Weaver nahm die DVD aus der Hülle, legte sie vorsichtig in das Fach, das aus einem der Rechner unter dem Schreibtisch herausgefahren war, und schloss es wieder. »Kannst du mir irgendwas über den Spion verraten, von dem du das hier hast?«
»Nein«, antwortete Jonathan.
»Aha, so einer also«, bemerkte Weaver. »Hat das Unternehmen einen Namen?«
»Xian Luftfahrtdesign- und Forschungsinstitut«, antwortete Kyra. »Es könnte auch unter Chinesische Luftwaffen- und Industriegesellschaft laufen.«
»Aha, die Chinesen. Ursprung aller Cyberbosheiten auf der Welt. Zumindest geht das Pentagon davon aus«, sagte Weaver. Als die DVD vollständig geladen war, erschien auf einem der Bildschirme ein Symbol. Weaver rief ein Fenster mit den Dateiangaben auf. »Die Datei ist nicht sehr groß, Linux binär, nicht ganz hundert Megabytes.«
»Die Chinesen verwenden Linux?«, vergewisserte sich Jonathan.
»Eine Variante mit Namen Red Flag Linux«, erklärte Kyra.
Weaver war überrascht. »Sie kennen Linux?«
»Rechner sind mein Hobby«, gab sie zu.
»Eine Frau als Computerfreak! Warum hast du mir die vorenthalten?«, fragte Weaver Jonathan, wurde dann aber ernst. »Vor etwa, äh, fünfzehn Jahren machte sich die chinesische Regierung Sorgen, dass Microsoft ein Hintertürchen in Windows eingebaut haben könnte, das uns oder der Nationalen Sicherheitsbehörde verdeckten Zugang zu ihren Systemen verschaffen würde. Der Quellcode für Linux ist frei, daher haben die Chinesen aus Sicherheitsgründen beschlossen, für entscheidende Funktionen ihr eigenes Betriebssystem zu entwickeln, und zwar dieses Red Flag Linux. Das Logo ist ein marschierender Pinguin mit chinesischer Flagge. Das ist kein Witz.«
Er klickte zweimal auf das Symbol, und nach dem Virtualisierungsprogramm startete die Anwendung. Der Bildschirm wurde in vier schwarze Quadranten aufgeteilt,
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