Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
das Südgatter auf die An-Jia-Lou-Straße. Schräg gegenüber befand sich die Botschaft von Südkorea, die von Israel und Malaysia mit ihren eigenen Wachsoldaten auf der dunklen Straße zurückgesetzt dahinter. Kyra ging nach links und bog an der nächsten Kreuzung in Richtung Süden ab, vorbei an der israelischen Botschaft und den Diplomatenhäusern. Noch ein Stück weiter, und das Straßenbild mit den vornehmlich europäischen und südasiatischen Fußgängern wandelte sich zu einem chinesischen.
Dem Stadtplan in ihrem Kopf folgend, bog sie auf der Liangmaqiao-Straße nach Südwesten ab und begann einen langen Marsch. Das aus modernen Auslandskonsulaten bestehende Viertel wich einer Reihe halb fertiger Bauprojekte und schließlich den eher traditionellen chinesischen Vierteln, die zu sehen Kyra gehofft hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie fast vier Kilometer gegangen war, und schon taten ihre Füße weh. Ihre Sportschuhe waren nicht für lange Märsche geeignet. Sie würde Blasen bekommen, achtete aber nicht weiter auf die Schmerzen, sondern richtete den Blick auf die sich vor dem dunklen Himmel abzeichnende Silhouette der hell erleuchteten Verbotenen Stadt. Kyra bezweifelte, dass sie den Weg bis dorthin an diesem Abend zu Fuß schaffen würde.
Der erste Schlag traf Kyra genau zwischen die Schulterblätter und warf sie nach rechts gegen die Backsteinmauer. Sie riss die Hände nach oben, um ihr Gesicht vor dem Aufprall zu schützen, schürfte sich dabei aber die Handflächen auf. Verblüfft sah sie nach hinten. Hinter ihr stand ein Chinese, schick gekleidet in britischem Anzug, durchschnittliche Statur und nur ein bisschen größer als sie. Er blickte sie stoisch und ausdruckslos an, seine volle Konzentration auf sie gerichtet, ohne sich von den Passanten beirren zu lassen.
Kyra schaute dem Mann direkt ins Gesicht, während sie von einem seltsamen Gefühl erfasst wurde. Die Narbe an ihrem Arm pulsierte, als ihr Herz heftig zu pochen begann. Einen Moment lang befürchtete sie, wütend zu werden, doch sie blieb ungerührt … fast gefühllos.
Willst du spielen? , dachte sie.
Kyra wandte sich von dem Mann ab und ging weiter, drehte den Kopf nur einmal kurz, um zu sehen, ob er sie immer noch verfolgte. Er war kaum eine Armeslänge hinter ihr. An der Kreuzung blieb sie stehen und wappnete sich. Sie hatte richtig vermutet. Der Mann rempelte sie von hinten so heftig an, dass sie auf die Straße gestürzt wäre, hätte sie sich auf den Aufprall nicht vorbereitet. Diesmal machte sie sich nicht die Mühe zurückzublicken.
Ein Gefühl der Kälte stieg in ihr auf und löschte ihre Gedanken. Als die Ampel auf Grün schaltete, ging sie mit den wartenden Fußgängern weiter. Wieder rempelte der Mann sie von hinten an, als sie den gegenüberliegenden Bürgersteig erreichte, eine unauffällige Bewegung, die aussehen sollte, als wäre er am Bordstein gestolpert. Kyra erreichte den Bürgersteig unbeschadet, doch das seltsame Gefühl in ihr wurde stärker. Und sie verlor die Lust, es zu unterdrücken.
Fünf Meter vor ihr öffnete sich zwischen den Häuserwänden eine Gasse. Kyra ging etwas schneller, und ein rascher Blick nach hinten bestätigte ihr, dass sie ein paar Fußgänger zwischen sich und ihren Verfolger gebracht hatte. Rasch bog sie in die Gasse ein und rannte ins Dunkle.
Der Verfolger sah, wie die Frau nach rechts in die Gasse rannte. Er schob ein paar Fußgänger beiseite und eilte ihr hinterher, starrte in die Dunkelheit, ohne etwas erkennen zu können, sah aber auch am Ende der Gasse kein Licht, was hieß, dass es keinen weiteren Ausgang gab. Die Frau musste sich irgendwo vor ihm befinden, doch die Straßenlaternen hinter ihm machten ihn blind. Er würde erst in die Dunkelheit treten müssen, um wieder etwas erkennen zu können. Genau dies tat er.
Die Metallstange traf ihn auf die Nase und zertrümmerte den oberen seitlichen Knorpel. Das in seine Kehle strömende Blut löste einen Würgereiz aus, der rasende Schmerz in seinem Kopf raubte ihm alle Gedanken. Seine Hände schnellten reflexartig nach oben, um die Wunde zu bedecken.
Das Vibrieren der Stange übertrug sich nach dem Schlag auf Kyras Arm. Sie hatte das Gefühl, als würde ihre Wunde aufreißen, doch das Schmerzmittel ließ sie über den Schmerz hinweggehen, sodass sie nach den Kniescheiben ihres Verfolgers ausholte. Da sie im Dunkeln nichts sah, verpasste sie ihr Ziel beim ersten Schlag, doch der zweite saß. Der Kerl stürzte und stieß
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