Erbe des Drachenblutes (German Edition)
erreichten beide gemeinsam das, was mit reiner Muskelkraft nicht möglich gewesen wäre: Sie formten einen Durchlass, der groß genug war, um den Reisenden und ihren Greifen Einlass zu gewähren.
Erschrocken fuhr Salvatorus zusammen, als ein lauter Schrei die Anspannung zerriss. Er blickte sich um und sah, wie der verletzte Greif bis zu ihnen hochgeführt wurde. Langsam humpelte er neben den Männern her, einer seiner Flügel hing lahm herab. Salvatorus bekam eine Gänsehaut, als er dem Greif so nahe war und erneut von seinem Blick angezogen wurde. Jetzt schienen seine Augen dunkler denn je. Es war fast so, als ob ein denkender Geist dahinter lag, der tiefer als der eines Tieres ging. Salvatorus verwarf den Gedanken schnell wieder. »Ihr habt es geschafft!«, rief Nexus erfreut und trat neben Zados. »Da kommen wir alle gut durch!« Zuerst tätschelte er Seidenzahn mit seinem rechten Zeigefinger den Kopf, dann widerholte er die Geste mit seiner linken Hand bei seinem Freund. Völlig erschöpft sank Zados auf den Boden und verzog einen Mundwinkel zu einem schrägen Lächeln.
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Der Drache sah vollkommen unversehrt aus, doch sein ganzer Körper war mit einer dicken Eisschicht überzogen. Mina näherte sich vorsichtig. Sie wusste, dass Drachen groß waren, doch in natura waren sie noch viel beeindruckender, ja sogar erschreckend. Wenn er stehen würde, hätte sie sich nicht so nah heran gewagt. Sie kam sich jetzt winzig und zerbrechlich vor, auch wenn sie wusste, dass der Drache die Erfüllung all ihrer Gebete darstellte.
»Du bist Lian, du musst es sein«, hauchte sie andächtig, ohne ihren Blick abwenden zu können. »Ich sehe dich, dennoch kann ich es kaum glauben.«
Sie fühlte sich gleichzeitig erleichtert und verunsichert. Dass es sich um Lian handelte, schien ihr eindeutig, aber was war mit ihr? War sie möglicherweise doch tot und mit ihr alle Hoffnungen gestorben? Sie berührte das kalte Eis, das die Schuppen vollständig bedeckte. So verweilte sie, bis sie zu einer Einsicht kam: `Kein Atemzug, keine Regung und hart wie Stein.´ Ihre Fingerspitzen nahmen die Kälte auf, die Stück für Stück ihre Hand und den Unterarm hinaufwanderte. Langsam glaubte sie, dass – wenn sie sich nicht löste – sie selbst zu Eis erstarren musste. Enttäuscht zog sie die Hand zurück, ihr wurde das Herz schwer.
»Lian«, flüsterte sie, »du bist erfroren! In dir steckt kein Leben mehr ... «
Da vernahm Mina Stimmen in der Ferne, die von den Höhlenwänden zuerst leise, dann stetig lauter werdend wiederhallten. Sie schluckte. Wären ihre Begleiter gekommen, bevor sie Lian gefunden hatte, wäre sie jetzt glücklich gewesen. Glücklich darüber, dass sie sie nicht aufgegeben, gesucht und gefunden hatten. Doch nun schien es bedeutungslos.
»Mina, den Göttern sei Dank, du bist unverletzt!« Salvatorus kam mit eiligen Schritten und weit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Dann aber, auf halber Strecke, erstarrte er. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er an ihr vorbei, direkt auf den vor Eiskristallen glitzernden Drachenkörper. Zados, Nexus und Herdanik mit seinen Leuten folgen mit wenigen Schritten Abstand, und auch sie blieben wie vom Blitz getroffen stehen. Sie rührten sich nicht, als fürchteten sie, der Drache könne jeden Moment erwachen und sie als Mahlzeit erwählen.
»Salvatorus, schön, Euch zu sehen. Als ich stürzte, dachte ich, es sei alles vorbei«, versuchte Mina, die Stille zu brechen.
»Und stattdessen habt Ihr gefunden, wonach Ihr gesucht habt«, erwiderte Herdanik, nur um mit offenem Mund weiterhin wie erstarrt stehen zu bleiben. Zados schlich lautlos zu ihr, nahm sie kurz in den Arm und musterte dann aufmerksam den Drachen. Keiner traute sich zu fragen, was auch Mina sich als allererstes gefragt hatte: Lebte Lian noch?
Mina seufzte. »Sie atmet nicht. Ich glaube, sie liegt hier schon seit ihrem Verschwinden und ist mit den Jahrhunderten möglicherweise selbst zu Eis geworden.«
»Was soll das heißen?«, fragte Nexus.
»Dass sie uns nicht helfen kann«, antwortete Mina. Ihre Stimme klang kratzig, und es lag etwas Erschüttertes darin. Die Erkenntnis wog noch schwerer, wenn man sie laut aussprach.
Herdanik blickte sich um, räusperte sich und wies seine Reiter an, im hinteren Teil der Höhle ein Lager aufzuschlagen. »Wir bleiben erst einmal hier«, erklärte er in die Runde. »Wir werden uns ausruhen, die Greifen versorgen und …«, er schaute ungläubig auf den Drachen, »… und dann
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