Erbe des Drachenblutes (German Edition)
verstehen und sie mit Respekt behandeln.«
»Nein, wenn sie eine eigene Existenz darstellten, dann hätten sie die Grausamkeiten des lautlosen Tods sicherlich nicht zugelassen!«
»So einfach ist es dann doch nicht«, antwortete Lian. »Sie sehen, hören und fühlen nicht wie wir. Es ist eine komplexe Angelegenheit, mit der Kraft der Kuppeln zu arbeiten. Man kann sie auch nicht neu erschaffen, sondern muss tatsächlich die bereits vorhandenen Götterkuppeln als Basis verwenden.«
Ehrfürchtig schaute Mina wieder hoch. Die Sterne funkelten, und ihr Licht strahlte so hell, wie sie es noch nie gesehen hatte. »Bringst du mir bei, wie man das macht?«
Mina hatte die Worte noch nicht richtig ausgesprochen, da überkam sie ein befremdliches Gefühl. An einer Seite der Öffnung bemerkte sie Unebenheiten im Schnee, als ob dort etwas Breites und Schweres heruntergerollt sei. Sie verengte die Augen zu Schlitzen und versuchte genauer zu erkennen, was dort oben den Schnee aufgewühlt haben konnte. Unsicherheit breitete sich in ihr aus. Sie schaute auf den Boden. Direkt unter der fragwürdigen Stelle lag tatsächlich eine Handvoll Schnee, der nach Lians Erklärung, egal um wie wenig es sich handelte, nicht da sein durfte. Er lag dicht an einem der mächtigen Eisstalagmiten, der so breit war, dass drei ausgewachsene Männer Mühe gehabt hätten, ihn zu umfassen. Wenn der Schnee nicht von alleine reingekommen war, musste etwas Lebendes ihn mit in das Innere getragen und dann verloren haben.
»Stammt das von einem Tier?«, fragte sie und zeigte auf den Schnee. Lian gab einen fragenden Laut von sich. »Tiere gibt es hier nur wenige.«
»Aber wenn der Schnee nicht von alleine rein gelangen kann und ein Tier ihn auch nicht mitgebracht hat … «
Ein kurzes, schabendes Geräusch unterbrach Minas Gedankengang. Es klang wie Metall auf Eis. Minas Kopf zuckte in die Richtung, ihr Herz begann zu rasen. Es war nichts zu sehen, es war eher eine Gewissheit in den Tiefen ihres Magens, aber diese Gewissheit wirkte plötzlich erdrückend.
»Lian, Vorsicht!«, schrie sie, »wir sind hier nicht allein!«
v v v v v
Ignis war sehr zufrieden mit sich. Medana hatte in unregelmäßigen Abständen Kontakt mit ihr gehalten. Und sie hatte wiederrum in der Zwischenzeit mit Sennus Nachtschatten gesprochen. Er war es, der ihnen mitgeteilt hatte, dass die Greifenreiter das Auge der Götter erreicht hatten und Mina in unmittelbarer Nähe abgestürzt war. Dass sie vielleicht tot sein könnte, glaubte Ignis nicht einen Moment. Im Gegenteil. Etwas in ihrem Geist war davon überzeugt, dass sich ihre ehemalige Freundin nicht mehr auf dem Berg, sondern im Inneren aufhalten musste. So trieb sie die Krieger immer höher und höher, bis selbst Nirvan laut von Wahnsinn sprach und andeutete, sich gegen sie zu stellen. Aber nun hatte sie ihr Ziel erreicht: Sie hatten eine Öffnung am oberen Rand des Gipfels entdeckt, die einen Durchmesser von gut fünfzehn Meter hatte und deren Ränder so symmetrisch waren, dass sie nur von Magie geformt sein konnte. Wenn es auf dem Berg ein Geheimnis gab, dann musste es hier zu finden sein, davon war sie überzeugt. Der Schnee am Rand der Öffnung war so hoch, dass die Krieger bis zur Hüfte darin versanken. Ignis warf einen Blick hinein und erkannte weit unten eine Höhle. Sie war so groß und weitläufig, dass Ignis von ihrer Position aus kein Ende ausmachen konnte, nur gewaltige Stalagmiten konnte sie deutlich erkennen. Einige Krieger befestigten ein langes Seil an einem Felsvorsprung. Danach warteten sie weitere Befehle ab.
Ignis hatte alles durchdacht. Wenn sie Mina und die Greifenreiter fanden, würden sie sie bekämpfen, unterstützt von ihrer Feuermagie. Und für den Fall, dass sie tatsächlich Lian trafen, hatte sie auch vorgesorgt. Drachen hatten ein Schuppenkleid, das von einer normalen Waffe nicht durchdrungen werden konnte. Aber da der Großteil der Drachen letztendlich auf dem dunklen Kontinent gestorben war, war es keine Kunst gewesen, Knochen der alten Riesen zu finden. In ihrem Auftrag hatte man einige der skelettierten Schädel aufgespürt und die dort befindlichen Zähne entfernt. Aus ihnen waren eigens für diese Mission Speerspitzen hergestellt worden.
Ignis war zufrieden. Nirvan hingegen betrachtete die Entwicklungen mit Missbilligung. Nichts war seit seinem Aufbruch so gekommen, wie er es erhofft hatte. Und dass Ignis hier tatsächlich eine magische Barriere entdeckt hatte, stand zweifelsfrei fest.
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