Erbe des Drachenblutes (German Edition)
ist. Sie würden uns bestrafen, weil wir nicht mehr so wie früher an sie glauben! All das sei eine Prüfung, und wir seien drauf und dran, dabei zu versagen.«
»Wann und wo hat das angefangen?«, fragte sie. Der Gedanke, in einer ihr völlig fremden Welt herumzulaufen und von einer mächtigen Regentin erwartet zu werden, war schon beängstigend genug, doch dass sich jederzeit die Luft um sie herum verändern könnte und sie dabei grausam ersticken müsste, war zu viel.
Nexus versuchte, sich zu konzentrieren. Sein Kinn reckte sich vor, und eine hellgrüne Zungenspitze drückte sich durch die geschlossenen Lippen, dabei verdrehte er die Augen angestrengt nach oben. »Wenn ich mich recht erinnere … es begann vor einigen Jahren, aber am Anfang waren die Vorkommnisse noch so selten, dass man sie nicht groß beachtete. Zuerst war die Küstenregion im Norden betroffen. Da brannten ein paar Fischerboote ab, und keiner wusste, wie es dazu gekommen war. Andernorts verdarb in zwei Jahren hintereinander die Ernte der Bauern, obwohl sie hervorragendes Land besaßen. Als die Elben sich beschwerten, dass einer ihrer Flüsse nur noch totes Wasser führte, wurde unsere Regentin hellhörig. Doch ich glaube, dass sie die aufkommende Gefahr wirklich erst erkannte, als einige kleinere Siedlungen, die – ohne, dass es jemand außerhalb bemerkt hatte – von einem Tag zum anderen ausgerottet worden waren. Die Bewohner, die dort gelebt hatten, waren ganz harmlose Leute! Aber der lautlose Tod hat nicht einmal vor ihren Haustieren halt gemacht.«
»Und keiner weiß, was das verursacht hat? Wie kann das sein?«
»Der Rat der vereinten Völker sagt, sie wissen nicht, was geschieht, aber Nexus, Nexus weiß es! Nexus wird es Mina sagen, damit sie sich in Acht nehmen kann!«
Er rückte näher und legte beide Hände trichterförmig um seinen Mund. Mina bückte sich, und der Waldkobold näherte sich auf wenige Zentimeter ihrem Ohr. So flüsterte er Mina die kommenden Worte zu, darauf bedacht, dass nicht einmal ein Vogel auf dem nächstbesten Baum ihn verstehen konnte. »Sicher«, begann er, »es kann die Strafe der Götter sein. Ich will auch die Götter nicht lästern, wirklich, aber es gibt einen Ort, der nach meiner Meinung für all das verantwortlich ist und bei dem die Götter nicht ihre Finger im Spiel haben.«
»Welcher Ort?«
»Der dunkle Kontinent, kein Zweifel. Es braut sich dort etwas zusammen, das nur Unheil für alle guten Geister bedeuten kann. Die weiße Regentin macht sich deshalb große Sorgen, wirklich, doch noch scheint sie den Ursprung des Unglücks nicht gefunden zu haben.«
Mina spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. »Aber was soll das alles mit mir zu tun haben?« Sie schaute den Waldkobold an, der ihr gerade einmal bis zur Hüfte reichte. »Nexus weiß es nicht. Nexus weiß aber, dass die Regentin schon in manch unscheinbaren Dingen und Lebewesen wahre Wunder offenbart hat. Wenn sie sagt, dass sie dich sehen will, dann magst du vielleicht die Fähigkeit besitzen, ihr zu helfen, ohne es zu wissen! Wenn du ihr erst einmal gegenüberstehst, wirst du es sicherlich verstehen.«
Bevor Mina weiter auf den kleinen Mann einreden konnte, trat Zados aus dem Wald. Über seiner linken Schulter hing ein filigraner Langbogen. Über der rechten lugte die weiße Befiederung von schlanken Pfeilen hervor. In den Händen hielt er einen fasanähnlichen Vogel, den er mit einer fast ehrerbietenden Geste an Nexus übergab. Mina hörte, dass Zados dem toten Tier noch ein paar Dankesworte zumurmelte, bevor Nexus es am Hals packte und schüttelte. »Gute Beute«, sagte der Kobold mit zufriedenem Grinsen.
Pünktlich zum Essen kehrte Nirvan zurück. Keine halbe Stunde später wurde das provisorische Lager abgebrochen. Mina nutzte die Gelegenheit, um den Elben in ein Gespräch zu verwickeln. Zados hatte ein feines Gespür für tiefsinnige Gedankengänge. Außerdem lachte er oft, was Mina bei einem Elben nicht erwartet hätte.
Sie wanderten über Stock und Stein, durch dichte Waldregionen und über felsige Hügel. Gegen Mittag begannen Minas Füße zu protestieren, doch sie ließ es sich nicht anmerken. Sie wollte Nirvans Reden über ihr verwöhntes Leben nicht recht geben. So unterdrückte sie jegliche Mimik, wenn sie gerade wieder auf einen spitzen Stein trat, der sich schmerzhaft tief in ihre Fußsohle drückte.
Nach einigen weiteren Stunden befand Nirvan, dass eine Pause eingelegt werden konnte. Erschöpft sank Mina nieder.
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