Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Keinesfalls hätten die jungen Völker auf lange Sicht gegen die Drachen bestehen können. Erst als die Elben ihre Schwachstelle fanden, gab es Hoffnung.«
»Drachen haben eine Schwachstelle?«, fragte Mina verwundert. »Ja. Drachen lebten von jeher in Clans, und alle sind einem einzigen Leitdrachen unterstellt. Er vertritt alle Gruppierungen, und sein Wort ist Gesetz. Zu der Zeit des großen Drachenkrieges hieß dieser eine Drache – der Fürst aller Drachen – Terranus . Wenn er einen Krieg befahl, dann gab es Krieg, und jeder Drache folgte ihm ohne Widerworte.«
Mina runzelte die Stirn. »Ist das nicht ungemein leichtsinnig? Einer bestimmt und alle folgen?«
Zados hob eine Augenbraue. »Ist das bei deinen menschlichen Herrschern nicht ähnlich? Du hast uns erzählt, dass ein König für alle entscheidet, und die breite Masse folgt. Und selbst, wenn sie an seinen Entscheidungen zweifelt, stürzt sie ihn nicht einfach, oder?«
Nach einer kurzen Minute des Schweigens stimmte Mina ihm zu. Zados' Blick glitt in die knisternden Flammen des Lagerfeuers. »Die größte Schwachstelle der Drachen war ihre strenge Hierarchie. Alle waren einem Einzigen untergeordnet, und was wäre, wenn man den Leitdrachen auf die Seite der jungen Völker brächte? Wenn man die Möglichkeit in Betracht zog, dass man so früh wie möglich in das Denken eines Drachen eingreifen könnte, gäbe es dann nicht einen Verbündeten? Und wenn es von Natur aus keinen neutralen Drachenverbündeten gab, konnte man sich dann einen erschaffen?«
Zados blickte hinauf zur Kuppel des magischen Schutzschildes. Mina hatte das Gefühl, als ob ihn etwas in der Geschichte persönlich beschämte. Es war die Art, wie er versuchte, die Geschehnisse zu erklären. Er fuhr fort: »Die Elben stahlen ein Drachenei und verbargen es vor den Augen der Welt. Das Ei wurde über zwei Jahrzehnte hinweg mit Magie umwoben. Stetig übten unsere mächtigsten Magier Zauber aus, die dem ungeborenen Drachen eine uns wohlgesinnte Seele geben sollte. Macht und Stärke ist es, was sie verstehen; Mitleid und Liebe in unseren Maßstäben kennen sie nicht, zumindest nicht für andere Völker. Sie lieben die Freiheit, fliegen zu können, sie lieben ihre Nestpartner und sie lieben ihre Jungen. Viel mehr gibt es nicht, was sie respektieren und für das sie sich einsetzen würden. So wurde es zumindest in den Überlieferungen berichtet. Dennoch wollten die Magier dem kleinen, ungeborenen Wesen unsere Wertmaßstäbe vermitteln. Das veränderte Drachenkind sollte Demut, Liebe und Freude empfinden. Insbesondere sollte es einen tiefen Respekt vor uns, den jungen Völkern, verspüren. Und als das Drachenei eines Tages aufbrach, war das Drachenjunge von Geburt an dazu verdammt, anders zu sein als seine Artgenossen. Auch rein äußerlich unterschied es sich von den anderen. Es besaß himmelblaue Augen, in denen sich die pure Güte widerspiegelte, und schneeweiße Schuppen, die wie Perlen im Licht schimmerten. Bis dahin hatte es nur Drachen mit unergründlichen Pupillen und dunkelgefärbten Schuppen gegeben. Das Drachenkind – es war ein Weibchen – erfüllte alle Erwartungen, und die Elben wussten, dass es ihnen helfen würde, weil es einfach nicht anders konnte. Sie gaben ihr den Namen Lian , was so viel wie `der Lebenszweig´ in unserer Sprache bedeutet. Ihre Existenz war die größte List der Elben, und im Schutze der weißen Magie wuchs Lian unnatürlich schnell heran. So dauerte es nicht lange, bis Lian ihre Beschützer und Lehrer als ihre Familie ansah und auch alles für sie tun wollte.«
Ein abschätziger Ton zerschnitt seinen Redefluss. Er kam von der anderen Seite des Lagerfeuers. Alle blickten Nirvan an. Bis jetzt hatte er schweigend zugehört, doch nun blickte er hellwach drein, und seine Augen funkelten düster. »Wieso nennst du sie `scheinbare´ Beschützer? Die Vertreter der jungen Völker haben Lian beschützt, denn ihre Artgenossen hätten sie als Abnormität ausgesondert und getötet.« Es lag keine Streitlust in seinen Worten, sondern eine Überzeugung, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war.
»Ja«, begann Zados auffordernd, „und du weißt das, weil …?«
Sichtlich dachte Nirvan über die Frage nach, suchte nach einer Antwort, ließ dann aber keine folgen. Er schwieg, so lange, bis alle sicher waren, dass nichts mehr kommen würde.
Zados drehte den Kopf zu Mina und schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Wo war ich? Ach ja. Lian wollte alles tun, um die Elben
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