Erbe des Drachenblutes (German Edition)
gehorchten Lian, weil sie der neue Leitdrache war. Und noch niemals in der Geschichte der Drachen hatte es einen Leitdrachen gegeben, der nicht zum Wohle der Gemeinschaft gehandelt hatte.«
Langsam glaubte Mina zu verstehen, warum sie am Anfang der Erzählung das Gefühl gehabt hatte, dass Zados mit der Geschichte eine innere Schuld verband. Als Elb fühlte er sich für die Taten seiner Vorfahren mitverantwortlich, und die Elben hatten Lian eine ungemeine Bürde und Verantwortung aufgeladen, die sie sicherlich kaum überblicken konnte.
»Was geschah danach mit ihr?«
Wieder wirkte Zados unglücklich. »Lian war ein Drache, der niemals unter seinesgleichen gelebt hatte und bei den jungen Völkern vereinsamte. Sie war eine Außenseiterin, da sie nicht mit den Ihren fortgezogen war und bei ihren zweibeinigen Familienmitgliedern nie ganz dazugehörte. Aber die Anführer der jungen Völker sahen das nicht. Sie sahen nur, dass nun endlich Frieden herrschte und dass der größte Krieg beendet war.«
»Ein wunderbarer Frieden«, zischte Nirvan mit einem sarkastischen Tonfall.
»Wieso, was war denn mit dem Frieden?«, fragte Mina.
»Der Frieden war trügerisch«, führte Nirvan aus. »Zwar zogen sich die Drachen widerwillig zurück, doch die jungen Völker konnten sich untereinander genauso wenig leiden, wie sie die Drachen leiden konnten.« Zornig zog er die Augenbrauen zusammen. »Es gab weiterhin kleinere Kriege und Ungerechtigkeiten, doch sie wurden nicht mehr so benannt. Das Einzige, was sich geändert hatte, war, dass die Machthaber keine Angst mehr vor der totalen Vernichtung hatten. Nein, sie suchten sich lieber schwächere Völker, bei denen sie selbst bestimmen konnten, ob oder wie sie ausgerottet wurden.« Verbissen verzog er die Lippen, dann schwieg er.
Nexus kratzte nachdenklich seine Nase. Es klang, als ob er mit seinen Fingerkuppen über Baumrinde fuhr. »Aber nur die, die böse sind, werden auf den dunklen Kontinent verbannt, wirklich! Ich weiß es, denn der Koboldälteste erzählt das schon den Jünglingen. Ungerechtigkeit wird bestraft, und die Verbannung wird nur in den schlimmsten Fällen angewandt!«
Schnell wie eine Schlange schoss Nirvan in die Richtung des Kobolds, hielt aber kurz vor ihm inne. »Was weißt du schon von Ungerechtigkeit!«, fauchte er mit einem gefährlichen Unterton. Nexus schluckte und zog den Kopf ein.
Zados erhob sich gleitend. »Ich finde, wir sollten uns nun zur Ruhe legen. Morgen haben wir noch einen anstrengenden Tag vor uns.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um, nahm seine Reisetasche und legte sich abseits unter einen Baum nieder. Nexus schaute zu Mina und legte den Kopf schräg, sagte aber auch nichts mehr. Der Anblick erinnerte sie an den eines jungen Hundes, der neugierig das erste Mal aus der Haustür blickte. Kurz darauf lag auch sie in ihre Decke gerollt auf dem Boden und blickte zum Sternenhimmel. Sie machte sich Gedanken über diesen geheimnisumwitterten dunklen Kontinent, den niemand wieder verlassen konnte. Was hatte ihr Nexus erzählt? Der Kontinent trug seinen Namen wegen der am Ufer liegenden, begrenzenden Steine und Felsen, die dunkel wie Ruß waren und anscheinend jedwedes Licht aufsaugten. Gerüchte besagten, dass es im Inneren des Landes nur wenige Flüsse und spärliche Vegetation gab, aber wer konnte das schon mit Gewissheit sagen? Ein Ort ohne Wiederkehr, in dem die ersten Verbannten die Drachen waren. Ob sie dort noch lebten? Und was war aus Lian geworden? Mina beschloss, Zados bald wieder danach zu fragen.
v v v v v
Ein unverständliches Stimmengewirr erfüllte die Luft. Janice wusste nicht, wo sie sich befand oder wie sie dorthin gekommen war. Ihr ganzer Körper bestand aus purem Schmerz, der jeden klaren Gedanken unmöglich machte. Was war geschehen?
Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber die Lider verweigerten ihren Dienst. Auch ihre Arme und Beine gehorchten nicht ihrem Willen. Neue Geräusche drangen an ihre Ohren: Schnelle, trippelnde Schritte näherten sich, begleitet von einem unruhigen Gespräch.
»Wie lange wird sie noch ohne Bewusstsein sein?«, wollte jemand wissen. Seine Stimme wirkte, als sei ein Erwachsener im Körper eines Kindes gefangen.
»Die Schamanin meinte, das Mittel würde aufhören zu wirken, wenn der Mensch an dem hier schnuppert.« Der zweite Sprecher, mit einer ähnlich hellen Tonlage, musste auf etwas gezeigt haben.
Jemand kam Janice so nah, dass sie ihn atmen hörte, dann, wie aus dem Nichts,
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