Erbe des Drachenblutes (German Edition)
in meiner Welt jemand mit diesem Gesichtsausdruck zur späten Stunde zu Besuch kommt und nach etwas zu trinken fragt, dann hat er eine riesige Wut im Bauch und will sich sinnlos betrinken. Eine Untugend, die es anscheinend auch in deiner Welt gibt.«
»Unserer Welt«, korrigierte Nirvan.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ist mir gleich, wie du sie nennst. Immerhin bist du ja auch nicht wirklich gekommen, um dich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen, oder? Dass du eigene Schatten im Herzen spazieren trägst, sieht man auf zwanzig Meter Entfernung. Und wenn du mir nicht meinen kostbaren Schlaf mit wilden Lügengeschichten rauben willst, dann empfehle ich dir, endlich mit der Sprache rauszurücken. Also, was willst du hier?«
Sie wunderte sich selbst über ihre schroffen Worte, doch auf der letzten Etappe nach Tempelburg hatte sie jedwede Angst vor ihm verloren. Und nachdem er gemerkt hatte, dass sie ihn nicht mehr allzu ernst nahm, hatte auch er auf seine oberflächliche Feindseligkeit ihr gegenüber verzichtet. Fast jeden der letzten Abende hatten sie in gemeinsamen tiefsinnigen Gesprächen ausklingen lassen. Dennoch, Nexus hatte keine Gelegenheit ausgelassen, ihr unter vier Augen zu raten, Nirvan nicht blind zu vertrauen. Man müsse eine gewisse Vorsicht bei ihm walten lassen, und das sei auch stets Zados´ Meinung gewesen. Er hatte ihr erzählt, dass eigentlich niemand genau wusste, woher Nirvan kam. Eines Tages sei er einfach erschienen, und aus unerfindlichen Gründen waren ihm schnell Tür und Tor geöffnet worden. Er hatte immer wichtigere Aufgaben erhalten, bis hin zu dem Tag, an dem er für die Mission auserwählt worden war, Mina nach Dra'Ira zu bringen – eine ganz besondere Ehre für ihn und ein hoher Vertrauensbeweis der weißen Regentin. Nur ein sehr starker Magier konnte hierfür auserwählt werden, denn nur ein solcher konnte ein Weltentor erzwingen. Allerdings ging das Vertrauen nicht so weit, dass man ihn hatte alleine gehen lassen.
Nexus misstraute ihm, und durch Nirvans Verhalten dem Kobold gegenüber war das auch nicht besser geworden. Dennoch konnte Mina eine Art Seelenverwandtschaft zu Nirvan nicht abstreiten. Sie genoss die Zeit, die sie mit ihm verbrachte. Und manchmal, wenn sie ihn lange anblickte, spürte sie auch mehr in ihrem Innersten als eine aufkommende Vertrautheit.
Jetzt schaute er sie an. »Ich weiß selbst nicht genau, warum ich hier bin«, ging er auf ihre vorher gestellte Frage ein. »Irgendwie wusste ich nicht, wohin ich sonst hätte gehen sollen.«
»Gibt es denn niemanden, mit dem du reden kannst? Hast du hier keine Freunde?«
Er gab ein steifes Lächeln von sich. »Nein. Ich bin ein Außenseiter, ohne Vergangenheit. Abgesehen davon bin ich nicht der ...«, er zögerte, suchte nach dem richtigen Wort, »… der geselligste Typ, wenn du weißt, was ich meine.«
»Lass mich überlegen: Du schaust stets grimmig drein, trägst nachtschwarze Kleidung und suchst ständig nach einer Gelegenheit, dich mit jemandem anzulegen. Und wenn einer es wagt, dir Contra zu geben, jagst du ihm kleine Blitze in den Hintern.« Sie verzog die Mundwinkel. »Eigentlich kann ich nicht verstehen, dass du hier keine Freunde gefunden hast.«
»Das kannst du wirklich nicht«, erwiderte er. »Du kennst mich nicht, weißt nicht, was ich alles durchmachen musste, bevor ich nach Tempelburg kam. All das hat mich und mein Verhalten geprägt. Ich musste lernen, dass nur der Stärkere überlebt, und ums Überleben musste ich täglich kämpfen.«
»Wovon redest du, Nirvan?«, fragte sie irritiert. »Wo lebtest du vor deiner Zeit hier?«
In Sekunden schossen ihm die Frage und die Antwort durch den Geist, abwiegend, was er sagen konnte. Nachdem er seinen Vater stehen gelassen hatte, hatten ihn seine Füße fast gegen seinen Willen hierhergetragen, und bevor er wusste, was er tat, hatte er bereits geklopft. Dennoch, er wusste, was er an Mina schätzte. Sie hatten etwas gemeinsam: beide waren Fremde in Tempelburg.
Er atmete laut aus. »Es ist nicht wichtig, wo ich vorher lebte, Mina. Jetzt bin ich hier. Ich stehe erst seit einigen Monaten im Dienst der Drachentochter. Am Anfang musste ich ihr meine Treue beweisen, doch dann schenkte sie mir ihr Vertrauen. Sie sagte mir, wer du bist und dass du selbst von deiner Herkunft nichts weißt. Sie sagte mir auch, dass das Schicksal Dra'Iras vom Erfolg meiner Mission, dich hierher zu bringen, abhänge.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Eine ganz schöne
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