Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Schmerzensschreien und Leid.
Janice gab es nicht mehr, dennoch konnte Ignis auf all ihr Wissen und ihre Erinnerungen zugreifen. Ein weiteres Indiz dafür, dass Janice vollständig verschwunden sein musste, sonst hätte sie sicherlich versucht, ihre Erinnerungen zu beschützen.
Die fremde Welt, in der sie sich nun befand, faszinierte sie. Sie sah überall ein unendliches Potenzial an Möglichkeiten. Sie sah überall die Chance, einen neuen, grausamen Anfang zu machen, und dieses Mal ohne die Hemmfesseln von Recht und Ordnung, von Gewissen oder Reue.
»Ihr schaut den ganzen, lieben langen Tag nur hinaus, dabei gibt es dort nichts zu sehen!«, erklang eine abweisende Männerstimme hinter ihr. Ignis drehte sich nicht um. Sie wusste, wer dort seit Stunden ein Auge auf sie hielt und gelegentlich gelangweilt auf und ab lief.
»Was interessiert dich das, Menok? Du bist nichts weiter als ein gesichtsloser Wächter, der auf mich achten soll.«
Menok, ein Mann mittleren Alters, der in seiner dunklen Lederrüstung mit den Schatten eines Erkers verschmolz, brummte laut. »Na und? Ich mag vielleicht ein gesichtsloser Wächter sein, doch dafür werde ich bezahlt. Ihr seid hier nur eine Gefangene, der man nicht trauen kann, deswegen soll ich Euch auf Schritt und Tritt folgen.« Er zuckte mit den Achseln. »Mir ist gleich, wofür ich bezahlt werde.«
Ignis verzog ihre Lippen zu einer Form, die mit viel Liebe als ein Lächeln zu deuten war. »Medana hat dafür gesorgt, dass ich mehr als eine Gefangene bin, mein kleiner, dummer Menok. Wenn du Glück hast, wirst du nie erfahren, was alles aus mir geworden ist.« Sie drehte sich langsam in seine Richtung. »Glaubst du wirklich, dass du mich aufhalten könntest, wenn ich gehen wollen würde? Der einzige Grund, dass du noch lebst, ist der, dass ich zurzeit kein Interesse an deinem Tod habe.«
Menok gab einen amüsierten Laut von sich, doch etwas an Ingis´ Blick ließ ihn verstummen. Sie wandte sich wieder zum Fenster und stellte sich vor, wie hinter dem Schleier der Dunkelheit bäuerliche Gebäude und vereinzelte Feldwege schlummerten. Und in jedem Gebäude wartete mindestens eine arme Seele, die von ihr erlöst werden könnte. Vielleicht wäre es doch interessant, die Gegend auf eigene Faust zu erforschen?
»Sag mal, kleiner Wächter, ist es wahr, dass der dunkle Kontinent von einer unsichtbaren Kuppel umgeben ist, die von keinem Menschen, keinem Tier und keinem Geist durchdrungen werden kann?«
Menok wurde unruhig. Als Medana ihm den Auftrag gegeben hatte, ständig ein Auge auf das Mädchen zu halten und sie nie alleine zu lassen, hatte er sein Kinn gereckt und gerufen: »Ja, ehrenwerte Medana!«
Er war ein erfahrener Krieger und, im Gegensatz zu den meisten Soldaten, sehr am Überleben interessiert. Er wusste, dass die Koboldschamanin mächtig und gefährlich war und jeder Widerspruch einem Selbstmord gleichkam. Wenn Medana einen Befehl gab, hätte er auch direkt von Cor Keto kommen können. Dennoch, inzwischen bereute er seine schnelle Zusage. Das Mädchen, es war nicht normal . Das lag nicht nur an ihren weißen, pupillenlosen Augen, die ihn ständig zu verfolgen schienen, sondern an dem, was sie tat, oder besser, was sie nicht tat. Sie hatte etwas an sich, was ihm schlicht Angst einjagte, und Angst hatte er bereits seit seinem vierzehnten Lebensjahr als elternloser Junge nicht mehr empfunden.
»Und, Menok, wirst du mir etwas von dem göttlichen Schutzschild aus der alten Zeit erzählen?«, fragte Ignis mit einem lauernden Unterton.
Menok streckte sich. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre. Ich habe nur den Auftrag, ein Auge auf dich zu werfen, nicht, dir etwas von dem dunklen Kontinent zu berichten. Ich weiß, dass du aus einer anderen Welt stammst. Der Welt, die nur die besten unserer Magier betreten können. Wenn Medana wüsste, dass ich dir Fragen beantworte, dann wäre mein Leben verwirkt.«
Ignis umklammerte mit beiden Händen ihre Oberarme, als ob ihr kalt wäre, drehte sich aber nicht um. »Mein Lieber, wenn du meine Fragen nicht beantwortest, wird Medana deine kleinste Sorge sein.«
Normalerweise würde sich der erfahrene Krieger von einem jungen Mädchen, das erst begann, eine Frau zu werden, nicht bedrohen lassen, doch hier war es anders. Er konnte ihre Anwesenheit kaum ertragen. Sie strahlte etwas aus, was ihm das Atmen erschwerte. Es war, als ob sie ihm mit der Zeit seine Existenz aus den Knochen saugte. Wann wurde er endlich abgelöst? Er
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