Erben der Macht
in der Tat nicht. Du wirst in die Unterwelt zurückkehren und dort bleiben.“
„Ha!“ Cayona vergaß bei diesem ungeheuerlichen Ansinnen, dass sie nicht in der Position und es erst recht nicht ratsam war, sich Samala zu widersetzen. „Ich bin ein freier Sukkubus, und du hast nicht das Recht, mir solche Befehle zu erteilen.“
Samala lächelte kalt. „Du vergisst, wer ich bin, Cayona.“ Trügerisch sanft gesprochen und doch so eisig, dass Cayona erschauderte. „Cleveland ist mein Territorium. Ich habe dich bisher geduldet, weil du mir nicht in die Quere gekommen bist. Du weißt aber genau, dass es nicht nur unsere Art, sondern die Sicherheit aller Anderswesen gefährdet, wenn wir Menschen töten. Gerade hier in Cleveland, wo auch Werwölfe, Vampire und Feuervögel leben. Und rede dich nicht damit raus, dass der Mensch dem Deal zugestimmt hat. Du hättest ihn mit ihm gar nicht erst zu diesem Preis eingehen dürfen.“ Sie schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab, bevor Cayona etwas sagen konnte. „Damit hast du dein Recht auf Freiheit verwirkt. Ich verbanne dich aus dieser Welt. Du kannst in der Unterwelt dein Unwesen treiben, soviel du willst, aber du wirst nie wieder in diese Welt zurückkehren. Verstanden?“
Samala machte eine Handbewegung. Im nächsten Moment hatte sich die Umgebung um Cayona verändert. Sie befand sich am Ufer eines kristallklaren Sees. Darüber wölbte sich der rötliche Himmel der Unterwelt. Ihre magischen Sinne sagten ihr, dass sie sich auf dem angestammten Gebiet des Dar’u-Clans befand, zu dem sie gehörte. Sie stieß erleichtert die Luft aus, froh darüber, so glimpflich davongekommen zu sein.
Gut, sie würde sich zukünftig von Cleveland meilenweit fernhalten sowie von jedem anderen Ort, an dem Tai’Samala sich irgendwann mal niederließ und ihn als Territorium beanspruchte. Aber die täuschte sich, wenn sie ernsthaft glaubte, dass Cayona in der Unterwelt bleiben würde. Sie verdeckte magisch ihre Ausstrahlung und teleportierte nach Australien. Melbourne war ein gutes Pflaster für einen Sukkubus.
Ein scharfer Schmerz fuhr durch ihren Körper, als sie gegen eine Barriere stieß, die sie nicht zu durchdringen vermochte. Wie vorhin bei ihrem fruchtlosen Versuch, Samala zu entfliehen, wurde sie brutal zurückgeschleudert und kollidierte mit dem Boden. Sie brauchte eine Weile, ehe sie in der Lage war, aufzustehen. Als sie der Ursache des Fehlschlags nachspürte, stellte sie fest, dass Samala einen Restriktionszauber an ihren Körper und ihre magischen Kräfte gebunden hatte, der es ihr unmöglich machte, die Barrieren zwischen den Dimensionen zu überwinden. Das bedeutete, dass sie tatsächlich auf ewig in der Unterwelt bleiben musste, da dieser Zauber auch verhinderte, dass sie durch ein Dimensionstor wieder in die Menschenwelt gelangte. Und das Eine Tor, das allein diesen Zauber hätte aufheben können, war für immer versiegelt.
Cayona brüllte ihre Wut hinaus und tobte eine Weile, bis sie sich ein winziges bisschen besser fühlte und in der Lage war, praktisch zu denken. Zum Glück waren menschliche Gefühle wie Verzweiflung einem Sukkubus fremd. Sie musste also hierbleiben und sich gezwungenermaßen mit dem Leben hier einrichten. Nun gut. Falls sich in den vergangenen dreihundert Jahren, seit sie die Unterwelt verlassen hatte, in diesem Punkt nicht allzu viel geändert hatte, bedeutete ein gutes und vor allem sicheres Leben für einen Sukkubus immer noch, dass er sich einem Dämonenfürsten der Vanonn-Art anschloss und sich in seiner Gunst bis ganz nach oben schlief.
Sie machte sich auf den Weg, herauszufinden, welcher Vanonn-Fürst gegenwärtig die für ihre Zwecke vorteilhafteste Stellung in der Unterwelt innehatte.
*
Clive starrte in den Spiegel. Sein Gesicht kam ihm fremd vor. Objektiv betrachtet sah es aus wie immer. Nur sein ohnehin weißes Haar war noch eine sichtbare Nuance bleicher geworden. Nach einer Weile erkannte er, warum ihm sein Anblick ungewohnt vorkam. Es lag nicht an der veränderten Haarfarbe; nicht nur. Den gravierendsten Unterschied bildeten seine Augen, vielmehr der Ausdruck in ihnen: alt. Nicht wie die Augen eines Mannes von Mitte sechzig, sondern von Mitte dreitausendsechzig. Was ungefähr hinkommen dürfte, wenn er die ganzen Leben zusammenzählte, die er seit seiner ersten Geburt im Rahmen unzähliger Reinkarnationen durchlaufen hatte. Sein Blick wirkte außerdem abwesend, als weilte ihr Besitzer nicht in dieser Welt.
Nur allzu
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