Erben der Macht
us blickte auf die Knochen auf dem Tisch und seufzte. Egal, wie er die Frage formulierte, egal, wie oft er die Knochen warf, die Antwort blieb immer dieselbe. Und sie gefiel ihm nicht. Aber darum ging es nicht. Die Dinge mussten ihm nicht gefallen, das taten sie sowieso eher selten. Er war Houngan und durch sein Amt verpflichtet, den Loas zu dienen. Und deren Ansicht – genauer gesagt, ihr Befehl an ihn – war eindeutig.
Das Glockenspiel an der Eingangstür kündete Sheebas Kommen an. Sekunden später betrat sie das Hinterzimmer. Ihr Gesicht drückte verzweifelte Hoffnung aus, wobei die Verzweiflung überwog. Er seufzte.
„Hallo Sheeba. Setz dich.“
„Hallo Gus.“ Sie nahm Platz.
Er holte eine zweite Tasse und schenkte ihr Kaffee ein. Sie sah ihn erwartungsvoll an. Flehentlich.
Er seufzte wieder. „Es ist nicht richtig, Sheeba. Das, was ihr plant, ist es nicht, und dass ihr dazu einen Poteau-mitan benutzen wollt, ist es erst recht nicht.“
Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich zu tiefer Enttäuschung.
„Trotzdem haben die Loas mir gestattet – nein, sie haben mir befohlen, dass ich euch helfen soll.“
„Oh, Gus!“ Sheeba sprang auf und umarmte ihn heftig. „Danke!“
Er tätschelte ihren Rücken und schob sie zurück. Wartete, bis sie sich wieder hingesetzt hatte, ehe er fortfuhr. „Unter einer Bedingung. Der Poteau-mitan, den ich weihe, muss in einem Raum stehen, der hinterher zusammen mit ihm vernichtet wird. Er darf auf keinen Fall bestehen bleiben oder nach dem Ritual noch einmal betreten, geschweige denn benutzt werden.“ Er blickte Sheeba eindringlich an.
Sie nickte zögernd und überlegte sichtbar, wie diese Bedingung erfüllt werden könnte.
„Baut eine einräumige Blockhütte mit einem Baumstamm in der Mitte als Poteau-mitan“, half er ihr. „Eine Blockhütte ist schnell errichtet und kann nach dem Ritual verbrannt werden. Sobald ihr sie fertiggestellt habt, gebt mir Bescheid. Ich werde dann kommen und sie als Houmfo weihen.“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist und bleibt falsch, aber die Loas werden ihre Gründe haben, weshalb sie es trotzdem gestatten.“
„Ich kann mir dafür nur einen Grund vorstellen.“ Sheeba sah ihn eindringlich an. „Nämlich dass das, was wir vorhaben, tatsächlich die einzige Möglichkeit ist, die Katastrophe abzuwenden.“
Gus schüttelte erneut den Kopf. „Davon haben die Loas mir nichts gesagt, und wäre dem so, dann hätten sie das getan, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich glaube eher, dass sie es gestatten als eine Art Notfallplan. Falls Bronwyn Kelley und Devlin Blake versagen oder tatsächlich von den Dämonen gezwungen werden sollten, das Tor zu öffnen, dann ist euer Plan wohl tatsächlich der Einzige, der die Katastrophe noch verhindern kann.“
„Warum wehrst du dich so sehr dagegen, Gus?“
Er schüttelte wieder den Kopf, diesmal nachdrücklicher als vorher. „Ich wehre mich dagegen, dass du und die Hüter dieses Vorhaben allzu schnell als bequeme Lösung akzeptiert. Ihr wisst, dass solche Dinge immer einen Preis fordern. Hat sich einer von euch darüber Gedanken gemacht? Ich glaube nicht.“
„Das ist uns bewusst, Gus, und wir sind bereit, jeden Preis zu bezahlen. Unser Plan ist bestimmt keine bequeme Lösung, im Gegenteil. Aber wenn du was Besseres weißt, nur heraus damit.“
„Das habe ich dir vorgestern schon gesagt. Nehmt Kontakt zu den beiden auf. Redet mit ihnen. Überzeugt euch davon, ob es ihnen wirklich ernst ist, das Tor zu versiegeln. Wenn ja, dann helft ihnen, statt gegen sie zu arbeiten.“
Sheeba tat einen tiefen Atemzug und trank von ihrem Kaffee, um sich zu beruhigen. Gus spürte, wie erregt sie war, wie wütend.
„Darauf habe ich dir vorgestern schon geantwortet“, sagte sie schließlich. „Wir können ihnen nicht trauen. Die beiden wissen, dass die Hüter sie töten wollen. Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass sie, wenn wir sie nach ihren wahren Absichten fragen, zugeben werden, dass sie das Tor öffnen wollen. So naiv kannst du nicht sein, Gus.“ Sie hüstelte verlegen. „Entschuldige, ich habe das nicht böse gemeint.“
Er winkte ab. „Die Hüter haben Leute in ihren Reihen, die geschult genug sind, zu erkennen, ob sie die Wahrheit sagen oder euch nur Sand in die Augen streuen wollen. Und“, er beugte sich vor, „vielleicht haben sie Pläne, bei denen ihr sie unterstützen könnt, statt noch ein weiteres Problem für sie zu sein. Ich meine, dass gerade in Anbetracht dessen, was auf
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