Erben der Macht
ernährt, leidet er nicht nur zunehmend Schmerzen. Nach ein paar Wochen beginnt der Hunger ein Enzym in seinem Körper zu erzeugen, das ihn wahnsinnig werden lässt. Ich glaube, du kannst dir ausmalen, was ein wahnsinniger Dämon mit den magischen Kräften eines Mokaryons unter den Menschen angerichtet hätte.“
Bronwyn schauderte bei dem Gedanken. „Ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass er sich aus Menschenfreundlichkeit angepasst hat.“
„Hat er nicht“, bestätigte Nalin, „sondern in erster Linie zu seiner eigenen Sicherheit. Jedoch hatte in anderen Bereichen sein Bestreben, sich dem Leben unter Menschen anzupassen, den Effekt, dass er einige ihrer Ansichten und Einstellungen übernommen hat. Zum Beispiel hinsichtlich von Intimsphäre. Körperscheu und damit einhergehendes Schamgefühl ist Dämonen von Natur aus völlig fremd. Deshalb haben sie auch keine Probleme, vor den Augen anderer Sex zu haben. Dennoch hat er sich auch dem insofern angepasst, dass er seine Wächter weggeschickt hat, wenn er mit einer Frau intim wurde.“ Nalin blickte sie bedeutsam an. „Wenn du so willst, hat ihn genau genommen diese Anpassung an die Menschen das Leben gekostet.“
Auch das warf ein völlig neues Licht auf Mokaryon. Nicht dass er ihr dadurch sympathischer geworden wäre. Er hatte immer noch genug Unheil angerichtet, indem er zum Beispiel Menschen rücksichtslos und gnadenlos durch seine Banken und Anwälte den Besitz genommen hatte, wenn sie mit Kreditraten in Rückstand waren oder Schulden anderweitig nicht zahlen konnten. Bei dem Reichtum, den er angehäuft hatte, wäre das wahrlich nicht notwendig gewesen. Auch wenn das zu den typischen dämonischen Instinkten gehörte, hätte er sie trotzdem beherrschen können. Bronwyn hatte damals dem Instinkt, Tiere zu quälen, nie wieder nachgegeben, obwohl sie ab und zu entsprechende Regungen verspürt hatte. Wie Nalin gesagt hatte: Es war eine bewusste Entscheidung, sich zum Guten oder zum Bösen zu bekennen.
Sie blickte den Naga fragend an. „Willst du damit sagen, dass Mokaryon – mein Vater versucht hat, sich die, hm, Moralbegriffe der Menschen anzueignen?“
Er nickte. „Von einer bestimmten Zeit an, ja. Du musst bedenken: Mokaryon war über achttausend Jahre alt. Mehr als fünftausend davon hat er in der Unterwelt nach ausschließlich unterweltlichen Gesetzen gelebt. Und in den ersten ungefähr zweieinhalbtausend Jahren seines Hierseins hat er die Notwendigkeit, sich den Menschen zumindest nach außen hin auch moralisch anzupassen nicht gesehen. Er hatte nur wenige Jahrhunderte Zeit zu üben. Und seine dämonische Natur war ihm dabei im Weg.“ Nalin sah ihr ernst in die Augen. „Stell dir vor, Marlandra, du wärst von einem Tag auf den anderen in der Unterwelt gestrandet. Zunächst würdest du versuchen, dort so zu leben, wie du es hier immer getan hast. Dann stellst du fest, dass du damit nicht überleben kannst und versuchst, dich den Gesetzen deiner neuen Welt anzupassen. Bevor dir das aber gelingt, musst du sie und deine neuen Mitbewohner erst einmal verstehen. Doch selbst wenn du sie verstehst, werden dir immer noch viele Dinge, die du zu Anpassungszwecken tun müsstest, fremd bleiben und sogar zuwider sein. Und trotz aller Anpassung würdest du in manchen Situationen immer wieder nach deinem Instinkt handeln. Weil du nicht anders kannst. Und das wäre dann, gemessen an den Verhältnissen der neuen Welt, unter Umständen böse.“
So hatte sie das nie gesehen. Weil für sie die Begriffe von Gut und Böse klar umrissen waren.
Nalin beugte sich vor und legte ihr die Hand auf den Arm. „Dein Vater war ein Dämon, und er hat sich verhalten wie ein Dämon. Trotz aller Versuche, sich den Menschen in Grenzen anzupassen, hätte er nie etwas anderes sein können. Du kannst aus einem Rennpferd keine Milchkuh machen. Ein Hund bleibt immer ein Hund. Auch wenn du ihm beibringst, aufrecht auf zwei Beinen zu gehen, wird er dadurch niemals zu einem Menschen werden. Oder zu irgendetwas anderem.“
„Ich verstehe.“ Das tat sie wirklich. Sie blickte Nalin an. „Wie kann ich meine dämonische Hälfte mit meiner menschlichen in Einklang bringen?“
„Lerne die Dämonin in dir kennen. Danach umarme sie.“ Er stand auf. „Komm. Ein besonderes Bad wird dir dabei helfen.“ Er ging zum Badezimmer.
Bronwyn folgte ihm, nicht sicher, ob sie wirklich das Richtige tat. „Ich will meine dämonische Hälfte loswerden. Ist es wirklich klug, sie vorher
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