Erben der Macht
Marlandra?“
„Bronwyn. Bitte mach es dir bequem.“
Sie deutete auf einen Sessel und setzte sich in einen anderen ihm gegenüber. Nalin nahm Platz, schlug die Beine über und legte die Arme lässig auf den Lehnen ab. Aufmerksam sah er Bronwyn an. Seine goldfarbenen Augen glitzerten, als bestünden sie tatsächlich aus Metall, doch das war das Einzige, was ihn äußerlich von einem Menschen unterschied.
„Man sagt, die Nagas wären weise. Aber wie gut kennst du dich mit menschlichen Seelen aus?“
„Ziemlich gut. Ich habe sie jahrtausendelang für Mokaryon studiert.“ Er lächelte. „Außerdem habe ich mich in den letzten Jahrzehnten nicht nur in der Theorie mit der modernen Psychologie und Psychoanalyse beschäftigt, ich habe auch eine Ausbildung als Psychiater an einer Universität abgeschlossen und zehn Jahre lang als solcher praktiziert. Ich wollte bereit sein, wenn du meine Dienste auf diesem Gebiet benötigen würdest.“
Bronwyn schüttelte den Kopf. „Das hast du nur getan, für den Fall, dass ich solche Kenntnisse vielleicht würde brauchen können?“
„Nein. Ich wusste, dass du sie brauchst. Dein Vater hat uns vor seinem Tod verpflichtet, uns auf den Tag vorzubereiten, an dem du kommen und deinen rechtmäßigen Platz einnehmen würdest. Da wir wussten, dass du unter Menschen aufgewachsen bist, hielt ich es für zwingend erforderlich, die menschliche Seele und ihre Funktion so gut wie nur möglich kennenzulernen. Mir war klar, dass ich für dich eine Art Dolmetscher würde sein müssen zwischen dir und deinen dämonischen Dienern, weil du das dämonische Wesen nicht verstehst.“
Bronwyn seufzte tief. „Ich verstehe ja nicht mal mich selbst. Und genau deshalb brauche ich deine Hilfe. Falls du mir helfen kannst. Das Ritual, das Devlin und ich am Tag der Wintersonnenwende durchführen müssen, basiert in mehr als einer Hinsicht auf Gleichgewicht. Nicht nur einem Gleichgewicht der Kräfte. Wir beide – er und ich – müssen auch in uns selbst im Gleichgewicht sein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Er ist das ganz ohne Frage. Aber ich bin es nicht.“ Sie sah ihm eindringlich in die Augen. „Kannst du mir helfen, mein Gleichgewicht zu finden? Gibt es irgendeine Technik, mit der ich das in den noch verbleibenden Tagen lernen kann?“
Nalin schaute sie eine Weile an. Bronwyn hatte das ungute Gefühl, dass er ihr trotz ihres mentalen Schirms, mit dem sie verhinderte, dass er ihre Gedanken lesen konnte – falls er diese Fähigkeit besaß – bis auf den Grund ihrer Seele blickte. Nach einer Weile nickte er.
„Um dein Gleichgewicht zu erlangen, Marlandra …“
„Bronwyn.“
„ … musst du deine dämonische Hälfte vollkommen akzeptieren.“
„Was?“ Sie sprang auf. „Niemals!“
Nalin blieb gelassen. „Genau das ist dein Problem. Du bist zur Hälfte Dämonin, ob du willst oder nicht. Dein Blut ist zur Hälfte dämonisch, deine Instinkte sind es ebenfalls, auch wenn sie dir nicht bewusst sind. Deine magischen Kräfte entspringen sogar vollständig deinem dämonischen Teil. Ohne diese Hälfte wärst du nicht die Person, die du bist. Trotzdem lehnst du sie ab. Das ist genauso, als würdest du deinen Arm oder dein Bein ablehnen.“ Er schüttelte den Kopf. „Sogar deinen Namen lehnst du ab: Marlandra. Dabei ist er im Gegensatz zu deinem menschlichen Namen an deine Seele gebunden.“ Er nickte wieder. „Du hast vollkommen recht, dass du dein inneres Gleichgewicht finden musst, andernfalls wirst du beim Ritual versagen. Trotzdem wehrst du dich mit Händen und Füßen dagegen, genau den Teil, der für dieses Gleichgewicht zwingend erforderlich ist, zu akzeptieren.“
Sie schüttelte den Kopf. Obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass er recht hatte, denn seine Worte ergaben einen nur allzu guten Sinn, sträubte sich alles in ihr dagegen, zu akzeptieren, dass sie eine halbe Dämonin war, Tochter eines Dämons, der Menschen zu grausamen Gladiatorenkämpfen gezwungen hatte; der seine eigene Tochter fallengelassen hatte, weil er sie nach Marus Tod nicht mehr benutzen konnte.
„Du hast Vorbehalte“, stellte Nalin akkurat fest.
„Selbstverständlich! Du verlangst schließlich von mir, dass ich das Böse akzeptieren soll, das ich zu bekämpfen versuche.“
Er neigte den Kopf. „Aber um das Böse zu bekämpfen, musst du es erst einmal kennen. Wenn du dir die Mühe machst, es kennenzulernen, wirst du feststellen, dass es nicht so ist, wie du es dir vorstellst.“
Sie blickte ihn
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