Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
leise. Er klang traurig. »Sie sind zu stark. Und sie haben zu viele von uns gefangen. Außerdem kommen Cait Sith allein besser klar. Ich bin das so gewohnt … und Ty ebenfalls.« Er zögerte einen Moment, dann wandte er sich ab. »Alles Gute, Lily Quinn. Ich hoffe, irgendein Gott oder wer auch immer beschließt, dich zu beschützen, sobald Ty das nicht mehr kann.«
»Jaden.«
Er drehte sich noch einmal zu ihr um, vielleicht einfach, weil er seinen Namen hörte, vielleicht aber auch wegen des Tons, in dem sie ihn sagte. Es war eine impulsive Reaktion, aber Lily hatte sich schon in Bewegung gesetzt, bevor ihr Verstand protestieren konnte. Rasch nahm sie ihn in die Arme, wie Bay das oft mit ihr getan hatte, um sie zu trösten, auch wenn sie selbst diese Art von Trost nie beherrscht hatte. Sie spürte, wie er sich versteifte, und drückte ihn rasch an sich, bevor er sie wegstoßen konnte. Dann ließ sie ihn los und trat einen Schritt zurück. Verwirrt sah er sie an, und das tat ihr richtig weh. Sie wusste, wie es war, wenn einen niemand liebte und eine freundliche Geste nur Misstrauen in einem weckte.
»Mach es gut, Jaden«, sagte sie leise. »Pass gut auf dich auf.«
Dann drehte sie sich um, ging rasch auf die Tür zu, öffnete sie und ließ Jaden so im Zimmer zurück, wie er angeblich sein wollte.
Allein.
20
Leise schloss Lily hinter sich die Tür.
Ty stand mit dem Rücken zu ihr reglos und mit gesenktem Kopf mitten im Zimmer, die Hände zu Fäusten geballt, die Schultern hochgezogen. Geschlagen , dachte Lily. Vernichtend geschlagen. Es machte ihr Angst. Sie hatte es völlig ernst gemeint, als sie ihm gesagt hatte, er sei der stärkste Mann, den sie je kennengelernt hatte. Wie hatte er trotz allem, was er hatte durchmachen müssen, sein Leben so gut meistern können? Wie hatte er so viel – eigentlich alles – verlieren können, ohne daran zu zerbrechen?
Vorsichtig machte sie einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen.
»Jaden ist fort«, sagte sie.
»Ich weiß«, erwiderte er leise. Seine Stimme zitterte leicht.
»Es tut mir leid, dass er gegangen ist.« Lily spreizte die Finger, die am liebsten seine steifen Schultern massiert hätten. »Es tut mir leid, dass ihr so auseinandergegangen seid.«
Ty lachte auf, aber es klang alles andere als fröhlich. »So ist das immer bei uns Cait Sith. Jeder geht seiner eigenen Wege. Uns zusammenzuschließen, liegt uns nicht, fürchte ich.«
Wäre Lily stärker oder zumindest tapferer gewesen, hätte sie Arsinöe und ihre nichtsnutzigen Höflinge eigenständig aufgesucht und sie büßen lassen für das, was sie Ty und seinen Artgenossen angetan hatten. Stolze, kraftstrotzende Wesen hatten sie in Sklaven verwandelt, hatten ihnen so übel mitgespielt, dass sie mit Freundlichkeit nichts mehr anzufangen wussten. Und sie hatten ihnen so viele Selbstzweifel eingeimpft, dass sie sich nicht einmal mehr zutrauten, außerhalb ihres vertrauten Gefängnisses klarzukommen. Es war abscheulich.
»Er hat einfach nur Angst«, erwiderte Lily. »Und ehrlich gesagt, Ty – nachdem ich gesehen habe, was die Ptolemy ihm angetan haben, geht es mir nicht anders.« Vorhin, als sie im Zimmer auf und ab getigert war und auf ihn gewartet hatte, war ihr eine Idee gekommen, und damit sprudelte sie nun heraus, denn es schien ihr die einzige Lösung zu sein.
»Ich glaube, wir sollten zu Vlad Dracul gehen.«
Jetzt drehte er sich zu ihr um, aber sobald sein Blick auf ihr ruhte, wünschte sie sich, er hätte das nicht getan.
» Was glaubst du?«
»Hör mir einfach erst mal zu«, sagte Lily und hob beschwichtigend die Hände. »Anura ist zu Vlad gegangen, stimmt’s? Dafür muss sie einen guten Grund gehabt haben. Und es gibt keinen Beweis, dass es die Dracul sind, die die Initiationsfeierlichkeiten der Ptolemy angreifen, habe ich recht? Nur die Geschichte deutet auf sie hin.«
Ty sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Wir sind unsterblich, Lily. Wenn die Geschichte auf sie hindeutet, ist das keine Kleinigkeit. Was Anura angeht – die betreibt ihr Geschäft auf Dracul-Gebiet, und ihr Club wurde gerade in Brand gesetzt und fast völlig zerstört. Ich weiß, dass sie dich schwer beeindruckt hat, aber wie ich dir bereits sagte, muss sie ihre eigenen Interessen vertreten.«
»Wieso hast du mich zu ihr gebracht, wenn du ihr nicht vertraust?«
»Ich vertraue niemandem«, erwiderte Ty.
Auch wenn er das nicht sagte, um sie zu verletzen, bohrten sich seine Worte wie ein Messer in ihr
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