Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
offiziell gar nicht existiert. Vielleicht ist morgen schon nichts mehr davon übrig. Irgendjemand versucht, einen von euch oder auch euch beide auszuräuchern. Nehmt meine private Treppe. Jaden, bring Ty und Lily in die Wohnung. Ich komme nach, sobald das gefahrlos möglich ist. Das könnte allerdings ein paar Nächte dauern. Ihr dürft nicht gesehen werden, wenn ihr den Club verlasst. Und ich darf nicht gesehen werden, wie ich ihn mit euch zusammen verlasse.« Sie richtete den Blick auf Lily, der es so vorkam, als spiegle sich in Anuras Augen eine uralte Traurigkeit. »Es steht mehr auf dem Spiel, als ihr ahnt.«
Jaden sah Anura fragend an. »Bist du sicher, dass du klarkommst?«
Anura lächelte, aber es war ein freudloses Lächeln. »Ich habe immer einen Plan für Notfälle, manchmal sogar drei Pläne. Ich komme schon zurecht. Passt auf euch auf.« Sie richtete den Blick erst auf Ty, dann auf Lily. In Anuras dunkle Augen zu schauen, fühlte sich äußerst merkwürdig an. In dem Moment, als sich ihre Blicke trafen, schien es Lily, als würde der Raum ins Wanken geraten, und der Rauchgeruch schien dem Duft von Weihrauch und blühendem Jasmin zu weichen. Einen flüchtigen Moment lang glaubte sie Flöten und Oboen zu hören, und vor ihren Augen entstand ein Bild von weißgekleideten Frauen, die Hand in Hand unter einem sommerlichen Vollmond im Kreis tanzten.
Sie blinzelte, und sofort war sie wieder in der Gegenwart. Irgendjemand hämmerte gegen die Spiegeltür, und der Rauch wurde immer dichter.
»Anura! Bist du da drin? Anura, wir müssen hier raus! Wir können den Club nicht mehr retten!«
Lily erkannte die Stimme des Türstehers, der es Ty so schwer gemacht hatte. Sie schnappte nach Luft und musste sofort wieder husten. Ty, dem der Rauch nichts auszumachen schien, sah sie besorgt an. Anura stand auf und öffnete eine Tür an der gegenüberliegenden Seite. Dahinter war eine Treppe, die nach oben führte.
»Los!«, befahl sie. »Wie ihr seht, bin ich nicht schutzlos. Nicht dass ich Schutz brauche, aber es ist trotzdem ganz nett.«
Jaden nickte und trat auf den Treppenabsatz. Ty schob Lily vor sich her auf die Tür zu, doch an der Schwelle, wo Anura stand, um sie zu verabschieden, blieb sie kurz stehen. Das Hämmern an der Tür wurde lauter.
Ohne zu wissen, warum sie es tat, legte Lily Anura die Hand auf den Unterarm. Sofort spürte sie die Intensität dieser Verbindung, allerdings wusste sie nicht, was sie zu bedeuten hatte. Doch Anura wusste es, das war so eindeutig wie die Wärme, die in ihrem Blick lag.
»Pass auf dich auf«, sagte Lily. Sie kam sich ziemlich blöd vor, aber sie hatte unbedingt etwas sagen wollen. Sie hatte so viele Fragen, doch die Gelegenheit, sie zu stellen, war ihr genommen worden. Die Enttäuschung darüber erdrückte sie fast.
Anura, die die Hand in gleicher Weise auf Lilys Unterarm gelegt hatte, lächelte sie freundlich und zugleich traurig an. »Sei gesegnet, kleine Schwester. Pass du auch auf dich auf. Wir müssen noch über vieles reden.«
Während sie bereits die unbeleuchtete Treppe hinaufeilten, sah Lily noch aus den Augenwinkeln, wie Anuras Körper durchsichtig wurde und sich dann in eine weiße Rauchsäule verwandelte. Unter ihnen fraßen sich die Flammen durch den Club, und über ihnen heulten die Sirenen.
Kurz darauf traten die drei in die kühle Nacht hinaus. Der Himmel über ihnen war gesprenkelt mit gleichgültigen Sternen.
13
In ihren Träumen war sie wieder zurück in dem Feuer.
Lily stand in dem leeren Club und sah zu, wie sich das Feuer nach und nach durch das Mabon fraß. Das einzige Licht kam von den Flammen, aber obwohl die Hitze immer größer wurde, stieg ihr kein Rauch in die Lungen. Langsam schritt sie durch den Club, während die Flammen an den Wänden hochleckten und sich in das Holz des Tresens hineinfraßen. Die Tür zu Anuras Büro stand offen, aber drinnen war es dunkel.
Das Büro zog sie magisch an, und auch wenn ein Teil von ihr wusste, dass sie träumte, war ihre Kehle aus Angst vor dem, was sie dort vorfinden würde, wie zugeschnürt. Dennoch war ihr klar, dass sie der Anziehungskraft nicht würde widerstehen können. Sie musste dieses Büro betreten.
»Schau hinein, Tochter. Sieh die Vergangenheit. Unsere Vergangenheit.«
Die Stimme schien überall um sie herum zu erklingen. Sie war wie ein Seufzer, warm und vertraut. Lily wusste, dass sie sie schon einmal gehört hatte, vielleicht in anderen Träumen. Deshalb zögerte sie auch nur ganz
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