Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
dieses wortlose Verständnis zwischen Anura und ihr gesagt hatte. Und dass er ihr die Information nicht einfach aus dem Kopf ziehen konnte, ärgerte ihn noch mehr. Er konzentrierte sich und versuchte, wenigstens ein Gespür dafür zu bekommen, was sie gerade fühlte. Der Umgang mit Menschen war deutlich leichter, wenn er wusste, was sie dachten, was sie vorhatten und was sie zu verbergen suchten.
Sofort spürte er, wie sie ihn abblockte.
»Lass das«, sagte sie.
Sie ist stark , dachte Ty. Viel stärker, als sie wusste. Ansatzweise hatte er ihre Kraft schon zu spüren bekommen, an dem Abend, als sie Tipton verlassen hatten. Schon wenn er nur gedanklich die Fühler nach ihr ausstreckte, konnte er die siedende elektrische Ladung ihrer Energie spüren.
»Wenn du ehrlich zu mir wärst, müsste ich das nicht machen. Warum interessierst du dich so sehr für Anura? Irgendwas ist da zwischen euch beiden passiert.« Er sah es Lilys Gesicht an, dass er richtig geraten hatte. Die gute Frau war so durchsichtig wie Glas. Er hoffte, dass sie niemals in die Situation kommen würde, etwas Wichtiges verschweigen zu müssen. Wenn er sie sich mit Arsinöe zusammen vorstellte, einer Frau, die Täuschung genauso perfekt praktizierte wie erkannte, dann sank ihm gleich der Mut.
»Ich habe einfach … irgendwas gespürt, das von ihr ausging«, erwiderte Lily. »Irgendwas gesehen. Als ich sie berührt habe.« Sie folgten Jaden gerade durch eine schäbige Straße in den Außenbezirken der Stadt, vorbei an einem Stripclub mit geschwärzten Fenstern, einem Geschäft mit Spielzeug und Videos für Erwachsene und einem Laden, der gleichzeitig ein Leihhaus und eine Kautionsagentur war. Lily bemerkte die beiden abgerissenen Männer gar nicht, die vor einer Kneipe auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen und ihr lüsterne Blicke zuwarfen, aber Ty tat das sehr wohl.
Sie gehört mir , dachte er und schleuderte ihnen diesen Gedanken mit aller Kraft entgegen. Sie würden es verstehen, ohne sich erklären zu können, warum, würden es bis ins Mark spüren. Und genau das geschah auch. Rasch huschten sie in das Loch zurück, aus dem sie gekrochen waren, und warfen ihm dabei über die Schulter ängstliche Blicke zu.
Es war befriedigend. Selbst wenn das, was er ausgesandt hatte, nicht ganz der Realität entsprach. In gewisser Weise gehörte sie ihm wirklich. Vorläufig jedenfalls.
»Irgendwas gesehen«, wiederholte er und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf das, worüber sie soeben gesprochen hatte. Allmählich wurde er richtig wütend. Sie verschwieg ihm etwas, und er fragte sich, was sie noch alles vor ihm geheim hielt, weil sie ihm nicht traute oder fand, er sei zu blöd, es zu verstehen.
»Das hättest du vielleicht mal erwähnen können«, fuhr er fort. Es gelang ihm gerade noch, nicht die Zähne zu blecken. Anura war unübersehbar ein Blaublut, auch wenn sie verstoßen worden war. Natürlich wollte Lily lieber ihr als ihm ihr Herz ausschütten.
Er war schließlich nur ein Katzengestaltwandler, der um die Mächtigen herumschlich.
Seine Gedanken waren wie ein Sturm, dessen dunkle Wolken rasch heranzogen und heftigen Regen ankündigten. In diesem Moment wurde Ty klar, dass er etwas fühlte, von dem er geglaubt hatte, es längst überwunden zu haben. Etwas, auf das er nur zu gern verzichtet hatte, weil es wie ein Stich ins Herz war: Kränkung. Ihre Geheimnistuerei kränkte ihn.
Am liebsten hätte er auf der Stelle kehrtgemacht und wäre davongelaufen. Er hatte Lily näher an sich herangelassen als irgendjemand anderen in den letzten Jahrhunderten. Und wenn sie ihn jetzt schon so leicht verletzen konnte, wie sollte das dann erst später werden …
»Ich wusste nicht, wie ich es beschreiben sollte«, sagte Lily. »Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob ich mir das nicht nur eingebildet habe.«
Er merkte, dass ihr der Aufruhr, der in ihm tobte, völlig entging. Vermutlich war das auch besser so.
»Trotzdem hättest du es mir erzählen sollen«, beharrte er. »Jeder noch so kleine Hinweis könnte uns helfen herauszufinden, was dein Mal bedeutet. Und wenn du mir noch mehr verschwiegen hast, dann sag es besser gleich. Ich habe keine Lust, vor den Cait Sith wie ein Idiot dazustehen.«
»Ja«, erwiderte sie und nickte. »Es gibt da noch was, das du vermutlich wissen solltest.«
Dieses sofortige Eingeständnis nahm ihm mit einem Schlag den Wind aus den Segeln. Sein Ärger verflog und wich Verblüffung. Sich so schnell durchzusetzen, war
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