Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
Feuer, und auch Simon machte trotz seiner schweren Verletzungen keine Anstalten aufzugeben.
»Es reicht«, brüllte Dorien so laut, dass die Luft zu vibrieren schien. Lyra sah, dass überall in den Fenstern der umliegenden Häuser neugierige Gesichter auftauchten. Sie stöhnte innerlich auf. Schon bald würden die Nachbarn aus ihren Häusern kommen, um besser verfolgen zu können, was da vor sich ging. Sobald ihnen auch nur ein Hauch von Vampirgeruch in die Nase drang, würde sie nichts mehr aufhalten können. Und ihr Vater würde sich wohl kaum die Mühe machen, ihnen Einhalt zu gebieten.
»Geh nach drinnen«, sagte Dorien leise knurrend zu Simon. »Deine Wunden müssen behandelt werden. Lyra soll sich darum kümmern … das ist das Mindeste, was sie tun kann.«
Simon gehorchte sofort und hinkte, nach wie vor in Wolfsgestalt, an Lyra vorbei ins Haus, ohne sie anzusehen. Sie nahm an, dass er sich schämte. Aber später, wenn er erfuhr, weshalb der Vampir überhaupt hier aufgetaucht war, würde er wütend werden. Sie ging ihm hinterher, allerdings langsam, weil sie hören wollte, was ihr Vater Jaden zu sagen hatte. Dorien bemerkte, was sie vorhatte, und der Blick, den er ihr zuwarf, hätte Eis in Feuer verwandeln können.
»Geh zu Simon«, fuhr er sie an. »Wenn es wirklich deine Schuld ist, dass dieser Vampir hier aufgekreuzt ist, werde ich ihm nichts tun. Er ist zwar ein Blutsauger, aber nicht er hat dich dazu angestiftet, schutzlos durch das ganze Land zu streifen. Und die Halskette hat sich vermutlich auch nicht von allein selbständig gemacht, oder?«
Lyra schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie hatte nichts zu ihrer Verteidigung vorzubringen. Nicht mal für die Sache mit Mark. Auch daran würde ihr Vater bestimmt ihr die Schuld geben, weil sie den Schutz des Rudels verlassen hatte. Und jetzt das hier … ein Vampir im Territorium des Rudels …
Lyra nickte und warf Jaden einen letzten Blick zu. Sie war sich sicher, dass sie ihn nie mehr wiedersehen würde. Ihr einziger Trost war, dass Dorien Black ein Mann war, der Wort hielt. Wenn er sagte, dass er Jaden nichts antun würde, dann konnte sie sich darauf verlassen. Jadens Augen, die in dem trüben Licht seltsam intensiv funkelten, waren so ganz anders als die der Werwölfe, unter denen sie aufgewachsen war. Ihre Wut auf ihn war verraucht und Verwirrung und einer tiefen Sehnsucht gewichen. Aber das durfte sie sich auf keinen Fall eingestehen, sonst würde sich dieses Gefühl in ihr einnisten und wachsen.
Dass sie Dinge wollte, die sie nicht bekommen konnte, war nichts Neues für sie. Aber Jaden zu wollen, wäre nicht nur sinnlos, sondern auch eine unglaublich bescheuerte Verschwendung von Energie. Dennoch hatte er es zumindest verdient, dass sie sich bei ihm bedankte. Auch wenn ihr sein Auftauchen eine Menge Ärger eingebracht hatte – wenigstens eine Sorge hatte sie jetzt weniger.
»Jedenfalls danke, dass du sie mir zurückgebracht hast«, sagte sie.
Jaden nickte. »Gern geschehen«, erwiderte er mit todernster Miene.
Sie zögerte einen kurzen Moment, weil sie das Gefühl hatte, es gäbe noch mehr zu sagen, auch wenn sie nicht recht wusste, was das hätte sein können. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als sich umzudrehen und nach drinnen zu gehen.
Wieder lief sie davon. Aber diesmal hatte sie aus irgendeinem Grund das Gefühl, in die völlig verkehrte Richtung zu laufen.
6
Jaden sah Lyra hinterher und genoss einen Moment lang den Anblick ihrer sinnlich schwingenden Hüften. Ob sie sich ihrer Anziehung überhaupt bewusst war? Vermutlich war es wirklich das Beste, dass ihr Vater ihn jetzt aus der Stadt jagen würde.
Oder versuchen würde, ihn umzubringen.
Oder beides.
Jetzt hatte er endlich Zeit, Dorien Black genauer zu betrachten. Lyra sah ihm nicht sonderlich ähnlich. Doriens Haar war rotbraun, während Lyras Haar die Farbe dunkler Schokolade hatte, und seine Gesichtszüge waren kantig und hart. Aber sie hatte eindeutig seine Augen. Warmes Gold, mit einem wilden Glitzern darin, leicht schlitzäugige Form.
Es war nur ein schwacher Trost, diese leichte Ähnlichkeit mit der Frau, deren Anziehungskraft ihn hierhergelockt hatte. Schließlich war Dorien Black ein Werwolf, noch dazu ein Alphatier. Was nichts anderes bedeutete, als dass er Jaden mit Sicherheit überlegen war. Simon war jung, ein leichter Gegner. Dorien war vermutlich ein anderes Kaliber.
Der Ton, in dem das Alphatier ihn ansprach, war alles andere als
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