Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)

Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)

Titel: Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendra Leigh Castle
Vom Netzwerk:
also eine rechtsfreie Zone, bis irgendjemand deinem Vater den Talisman aushändigt.«
    Sie verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Ja, genau. Ich habe dir ja gesagt, es geht um Kraft, Schnelligkeit … und Gerissenheit, aber ich glaube kaum, dass Letzteres normalerweise eine so große Rolle spielt.« Sie lachte kurz auf, klang aber etwas verzweifelt. Als sie mit ihrem Vater und mit Simon darüber gesprochen hatte, hatte das längst nicht so aussichtslos geklungen. Aber damals hatte sie nichts erklären müssen … vielleicht lag es daran. Sie hatte es nicht laut aussprechen und sich der Tatsache stellen müssen, wie gering ihre Überlebenschancen waren, wenn man das Ganze zu Ende dachte.
    Sein Blick schweifte wieder zum dunklen Wald hin. »Du, da drin, mit einer Horde riesiger männlicher Werwölfe, die für den ersten Preis über Leichen gehen? Ja, Lyra, um da lebend wieder herauszukommen, musst du dich schon ganz besonders schlau anstellen. Nahkampfausbildung, klar, wenn du am Ende nur noch einem Auge in Auge gegenüberstehst, ist das bestimmt nützlich, aber bis dahin …« Der Rest ging in leisem Gemurmel unter. Jaden schlenderte langsam auf die Bäume zu. Lyra betrachtete seinen sich entfernenden Rücken, blieb selbst aber stehen und hoffte, dass er gerade irgendeine Taktik austüftelte.
    Wenn es überhaupt eine Erfolg versprechende Taktik gab.
    Plötzlich wurde sie von Zweifeln geplagt, wie es manchmal geschah, wenn sie allein war. Das Rudel verlangte, dass sie sich in ihr Schicksal fügte. Aber Lyra wusste: Falls sie dies akzeptierte, dann würde sie ebenso sicher sterben, wie wenn sie bei der Prüfung scheiterte. Nur eben innerlich, wo niemand es sehen könnte.
    Deshalb würde sie nicht nachgeben, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ohne Mann, der für sie einstehen und an ihrer Stelle kämpfen würde. Wenn es ihr glücken sollte, das Rudel zu führen, das sie so sehr liebte, dann wollte sie es aus eigener Kraft schaffen … dann gäbe es auch keine Fragen, ob sie für den Job geeignet wäre.
    »Ich kann es schaffen«, sagte Lyra leise, während sie Jaden nachsah, der immer weiter weg von ihr in die Dunkelheit hineinspazierte. »Ich kann alles schaffen.«
    In dem Moment sah sie es: Ein Schatten flog rasend schnell von hinten auf Jaden zu. Die Gestalt war in ein paar Metern Entfernung an ihr vorbeigezischt, und die von der Geschwindigkeit aufgewirbelte Luft trug den Geruch uralten Tods in sich – den Geruch nach Vampir. Instinktiv reagierte Lyra. Ohne lange zu überlegen, sprang sie los. Ihr Körper veränderte sich in der Bewegung und nahm die schlanke, muskulöse Form des Wolfs an. Ihre Pfoten hatten kaum den Boden berührt, da sprang sie schon weiter und setzte all ihre Kraft ein, um Jaden vor diesem Eindringling zu erreichen.
    Obwohl sich das Folgende binnen weniger Sekunden ereignete, würde in Lyras Erinnerung künftig alles wie in Zeitlupe ablaufen: Wie der Schatten, sobald er Jaden erreicht hatte, die Gestalt eines Menschen annahm, wie Jaden sich umwandte, kampfbereit mit flatterndem Mantel, wie seine Augen gefährlich blitzten. Sie sah den Blutschwall, der aus Jadens Brust spritze, sah den Schock und die Wut in seinem Gesicht, und dann rammte sie den angreifenden Vampir mit voller Wucht. Beide rollten sie über den Boden, Lyra knurrend auf der Suche nach einem lohnenden Ziel für ihre Zähne und Klauen.
    Sie schlug ihre Fänge in einen fleischigen Oberarm, hörte ein Schmerzgekreisch wie von einem dieser Silvesterknaller, die so durchdringend heulten, während ihr gleichzeitig ein fauliger Geschmack den Mund füllte. Der Vampir riss seinen Arm los, Lyra stieß er beiseite, als wäre sie gewichtslos, und floh wild fauchend. Sie rollte sich geschmeidig ab, dennoch hatte ihr der heftige Schlag die Luft aus den Lungen gepresst.
    Sie benötigte einige wertvolle Sekunden, um wieder zu Atem zu kommen, noch länger, um sich aufzurappeln und sich zu vergewissern, dass der Vampir fort war. Er war wirklich fort, auch wenn sie ihn im leichten Wind noch riechen konnte. Angst, Zorn – Rückzug. Lyra bleckte die Zähne in die Richtung, in der er verschwunden war, und machte so ihren Anspruch auf diese Gegend geltend – und auf diesen Mann.
    Rasch verwandelte sie sich wieder in eine Frau und eilte zu Jaden. Er lag bleich und mit geschlossenen Augen auf dem Boden. Unter dem Mantel trug er ein königsblaues Hemd, das getränkt war von dunklem Blut aus einer Stichwunde in seiner Brust.

Weitere Kostenlose Bücher