Erbin des Gluecks
– und leider immer noch liegen –, hätten sie gegen Sir Francis Forsyths Wort keine Chance gehabt. Sie hassten ihn leidenschaftlich. Vielleicht haben sie ihn und seine Familie sogar mit einem Fluch belegt. Wenn ich daran denke, was meinen Eltern passiert ist …“
„Halt, Francey. Nicht weiter!“ Bryn war vor ihr stehen geblieben, machte aber keinen Versuch, sie zu berühren. „So etwas darfst du nicht einmal denken. Mein Großvater hat gründlich nach Gulla geforscht, denn ihn verband eine besondere Freundschaft mit dem weisen alten Mann. Am Ende blieb alles ungeklärt. Gulla machte oft weite Wanderungen, was nicht ungefährlich war. Was er hinterließ, ist nichts als eine Buschlegende.“
„Das glaubst du nicht wirklich“, widersprach Francesca. „Ich höre es an deiner Stimme. Du willst mir nur das Herz erleichtern. Selbst wenn er im Busch gestorben ist und die Dingos seine Leiche gefressen haben, hätte es Spuren von seinen Knochen und seiner Kleidung geben müssen.“
Bryn machte auf dem Absatz kehrt. „Wir sollten hinuntergehen.“
„Du meinst, bevor Carina heraufkommt?“
„Zuzutrauen wäre es ihr, das wissen wir beide.“ Bryn war zu dem ironischen Ton zurückgekehrt. „Und damit du von jetzt an nicht in Angst und Schrecken leben musst … Ich werde dich nur noch von der Seite ansehen.“
„Es wäre besser, du würdest mich gar nicht ansehen.“
Bryn lachte kurz auf. „So weit kann ich leider nicht gehen. Erwarte es also nicht von mir. Überlass es dem Lauf der Dinge, und denk vor allem daran, dass ich nicht verheiratet bin. Noch nicht einmal verlobt, wenn ich mich recht erinnere.“
6. KAPITEL
Douglas McFadden, ehrenwerter Seniorpartner der Forsyth-Anwälte „McFadden, Mallory & Crawford“, saß am wuchtigen Schreibtisch im Arbeitszimmer des verstorbenen Sir Francis. Der Schreibtisch war reich mit Bronzebeschlägen und vergoldeten Löwentatzen verziert, deren ausgestreckte Krallen Francesca als Kind Angst gemacht hatten.
Wie alles in der Forsyth-Villa, sprengte auch das ballsaalgroße Arbeitszimmer jedes Maß. Ein lebensgroßes Porträt von Sir Francis in seinen besten Jahren – über zwei Meter hoch, fast ebenso breit und von Deckenscheinwerfern angestrahlt – hing an der Wand hinter dem Arbeitsplatz. Es sagte viel aus über den Verstorbenen, der ein ungewöhnlich attraktiver Mann gewesen war. An der Vornehmheit, die die Macallans unleugbar besaßen, mochte es ihm gefehlt haben, aber er beherrschte durch sein Bild immer noch den ganzen Raum. Der Maler war recht bekannt und hatte nach Francescas Meinung das Wesen ihres Großvaters meisterlich getroffen. Man sah den Mann ohne Maske, mit leuchtend blauen Augen, deren durchdringender, irgendwie hämisch wirkender Blick schwer zu ertragen war.
Die Erbberechtigten – insgesamt waren es vierzehn Personen – wirkten vergleichsweise gelassen. Abgesehen von Bryn, waren sie alle Forsyths, wie Francesca selbst. Einige waren Nachkommen von Sir Francis’ jüngeren Schwestern Ruth und Regina, die es klugerweise vorgezogen hatten, ein friedliches Leben fern von ihrem Bruder zu führen. Vier Enkel arbeiteten allerdings für „Titan“. Sir Francis hatte sie selbst eingestellt – als großzügige Geste gegenüber der Familie. Sie waren klug, gut ausgebildet und strengten sich gewaltig an, keiner hätte es jedoch je mit Bryn Macallan aufnehmen können. Einer von ihnen, James Forsyth-Somerville, erkannte das bereitwillig an. Für ihn war Bryn ein leuchtendes Vorbild.
Bryn selbst, der Außenseiter, saß so ruhig da, als wäre er Zuhörer bei einer Universitätsvorlesung. Rechts und links von ihm hatten die Forsyth-Erbinnen, Carina und Francesca, Platz genommen. Dass ihr dieser Titel auch als „zweite Besetzung“ zukam, hatte Francesca schließlich einsehen müssen. Sie war eine Forsyth – und damit auch eine Erbin.
„Es ist mir egal, wo du sitzt, solange Bryn bei mir bleibt“, hatte Carina ihr beim Betreten des Arbeitszimmers zugezischelt.
Im Endergebnis saßen alle in einem flachen Halbkreis vor dem Schreibtisch. Charles hatte sich einen dreifachen Whisky eingeschenkt und dann ganz nach außen gesetzt, als käme es auf ihn, den einzigen überlebenden Sohn und damit Haupterben, nicht weiter an. Äußerst merkwürdig, dachte Francesca, und ein rascher Seitenblick auf Bryn bestätigte sie in dieser Meinung.
„Es kann hart werden“, flüsterte er ihr zu. Er wirkte äußerst angespannt und schien den Beginn der Sitzung nicht erwarten
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