Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
seine Bedürfnisse und seine Launen. Mit seiner Berühmtheit und seinem Reichtum war er ein Musterbeispiel für einen rücksichtslosen Narzissten. Wie oft kam es vor, dass Neville sie anrief und fragte, wie es ihr ging? Erkundigte er sich überhaupt jemals nach ihrem Leben? Wie oft sprach er mit ihr über Rosaria, von finanziellen Dingen einmal abgesehen?
Eine Weile saßen alle drei schweigend da, Madeleine und Elizabeth nippten an ihren Drinks, Neville kippte seinen Wein hinunter.
Madeleine unterbrach die Stille. »Neville, es gibt da etwas, worüber ich mit dir reden muss.«
»Ich lasse euch allein.« Elizabeth stand auf und verließ demonstrativ das Zimmer. Madeleine war verdutzt. Vielleicht hatten die beiden sich gezankt. Ja, das musste es sein. Sie wandte sich wieder Neville zu, der den Blick nicht vom Fernseher abgewendet hatte.
»Wir sprechen nie über Mikaela.«
Er zuckte die Achseln. »Was gäbe es da zu besprechen? Wir wissen nichts von ihr.«
»Es kann sein, dass du dich in diesem Punkt täuschst. Möglicherweise kenne ich sie seit einigen Monaten.«
Nevilles Blick löste sich vom Bildschirm. Er sah angemessen überrascht aus. »Möglicherweise? Was willst du damit sagen?«
»Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher. Es geht um eine Frau, die seit März meine Patientin ist.«
»Gütiger Gott! Was soll ich dazu sagen? Wahrscheinlich handelt es sich um eine andere Frau.«
»Das will ich herausfinden.«
»Wenn sie es ist, musst du dir einen Weg überlegen, wie du sie loswirst.«
»Was?«
»Madeleine.« Er sah sie mit resignierter Nachsicht an. »Ich gebe dir einen väterlichen Rat. Fall nicht auf sentimentalen Quatsch herein. Man wird nur allzu leicht rührselig und blauäugig. Selbst wenn du recht hättest mit der Frau – daraus wird nie etwas Gutes. Mach dein Leben nicht komplizierter, als es ist, Mädchen. Am besten wäre es, einen Vorwand zu finden, die Therapie abzubrechen.«
»Ist das alles? So also lautet dein väterlicher Rat?«
»Madeleine, vergiss verdammt noch einmal nicht, dass Mikaela nichts von dir wissen will. Hast du dich nicht auf eine Liste eingetragen, und sie hat auf deinen Wunsch, sie kennenzulernen, nicht reagiert? Das Mädchen ist nicht mehr deine Tochter, und sie ist es bereits seit zwanzig Jahren nicht mehr. Sie ist Schnee von gestern. Du musst diese Tatsache akzeptieren.«
Etwas in Madeleine erstarrte. Sie hätte sich denken können, dass er sie so kaltherzig und pragmatisch abfertigen würde. Aber hatte er recht?
»Neville, wir sprechen von deiner Enkelin. Deinem eigenen Fleisch und Blut.«
Neville verzog das Gesicht. »Mit Blutbanden habe ich nie viel am Hut gehabt. Meiner Meinung nach werden sie überschätzt.«
»Und wie steht es dann mit uns beiden, Neville?«
Er machte eine abwehrende Geste. »Ach, nun sei doch nicht so theatralisch. Das ist etwas ganz anderes.«
»Nein, Neville!«
Sie fielen in ein brütendes Schweigen. Nevilles Augen hefteten sich wieder auf den Bildschirm. Nichts schien ihn weniger zu interessieren als Mikaela. Madeleine spürte Angst und Enttäuschung in sich aufsteigen. Immer wenn sie ihren Vater wirklich einmal brauchte …
»Neville«, sagte sie so laut, dass sie den Fernseher übertönte, »hast du eine Ahnung, wer Mikaela adoptiert hat? Hat dieses Ekelpaket Forbush, oder wie immer sein Name lautete, dir das jemals mitgeteilt? Ich erinnere mich vage, dass ihr euch mehrmals sehr nett miteinander unterhalten habt.«
Neville stieß einen übertriebenen Seufzer aus. »Natürlich nicht, Madeleine. Solche Informationen werden in jeder Hinsicht vertraulich behandelt.«
»Sagt dir der Name Locklear etwas?«
»Nein.«
»Du kannst mir also nichts mitteilen, was ich nicht schon weiß? – Bitte, Neville, ich muss das Problem lösen. Diese Frau ist meine Patientin und möglicherweise meine Tochter. Ich möchte die Wahrheit herausfinden, aber es geht auch um mich als Therapeutin. Kannst du mir nicht helfen? Gibt es nichts …?«
Neville schüttelte den Kopf. »Schau mal, mein Mädchen. Ich weiß nicht mehr als du. Ich kann dir nicht helfen. Außerdem habe ich meine eigenen Probleme. Lass die Sache fallen, Madeleine. Mach Urlaub oder geh mit jemandem ins Bett.«
»Geh mit jemandem ins Bett? Meinst du das ernst?«
»Ich habe nicht sagen wollen …« Er unterbrach sich und sah sie an. »Ach, Scheiße!« Er holte tief Luft. »Hör zu. Ich verrate dir jetzt das Einzige, was ich weiß, und es beweist, dass du auf der falschen Fährte bist.
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