Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
Das Paar, das dein Mädchen adoptiert hat, hieß Cocksworth. Der ungewaschene Kerl, dieser Forbush, hat mir den Namen zufällig verraten, als ich ihn einmal anrief. Behalten habe ich ihn nur deshalb, weil er so lächerlich ist. Ich erinnere mich daran, wie ich das kleine Mädchen bedauert habe, mit einem solchen Namen in die Schule gehen zu müssen. Cocksworth, verdammt noch mal!« Er kicherte in sich hinein. »Sie hießen nicht Locklear, mein liebes Kind, sofern das der Name deiner Patientin ist. Es sei denn, sie hat geheiratet.«
Nein … Und Mikaela ist sie auch nicht, dachte Madeleine mit sinkendem Mut. Ein einmaliger Namenswechsel war möglich, aber nicht gleich zwei. Aber da war noch das Geburtsdatum. Das Datum – und die Augen.
»Ich muss es wissen, muss es hundertprozentig wissen, für den Fall … dass sie die Therapie fortsetzt. Ich muss einfach noch ein wenig Detektiv spielen.«
»Ich glaube nicht, dass sich die Mühe lohnt, Madeleine. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Forbush mir gesagt hat, die Cocksworths gingen zurück nach Newcastle, sobald die Adoption über die Bühne gegangen sei. Sie stammten von dort.« Er schüttelte seinen großen Kopf und nahm einen weiteren kräftigen Schluck. »Nun komm schon, Mädchen, warum sollte Mikaela ausgerechnet nach Bath gezogen sein?«
Elizabeth erschien in der Tür. Brutus sprang um sie herum.
»Der Hund braucht Bewegung.« Als sie die Spannung im Raum spürte, hielt sie inne. »Warum kommst du nicht mit, Madeleine? Wir könnten einen Spaziergang im Hyde Park machen, einmal um die Serpentine herum.«
Madeleine sah erst ihre Stiefmutter an und dann ihren Vater, der das Interesse an ihrer Unterhaltung verloren hatte.
»Ja, in Ordnung. Ich komme mit.«
Madeleine wartete, während Elizabeth den Hund einfing, der nun vor Aufregung ganz außer sich war. Neville schenkte ihnen keinen Blick und rührte sich nicht.
Sie gingen in gemütlichem Tempo in Richtung Park. Der kleine Hund hob sein Bein an Bushaltestellen, Laternenpfählen und Papierkörben. In der Sloane Street blieb Elizabeth vor jedem Schaufenster stehen und bedachte die Auslagen mit einem fachmännischen Blick. Selbst wenn sie in Hochform war, hatte Madeleine nichts für überteuerte Designerkleidung übrig, geschweige denn in ihrer gegenwärtigen Verfassung. Sie lief einfach mit, während ihr die Gedanken durch den Kopf schwirrten. Den Namen Cocksworth hatte sie noch nie gehört, und die Tatsache, dass die Familie nach Newcastle gezogen war, sollte eigentlich alle ihre Zweifel beseitigen. Wenn das, was Neville sagte, stimmte, täte sie gut daran, ihren Irrtum zu akzeptieren.
»Nun schau dir einmal diese Schuhe an, Madeleine. An dir, bei deinen Beinen, würden sie phantastisch aussehen.«
»Komm weiter. Das ist nichts als Schall und Rauch.«
Aus alter Gewohnheit zog es Madeleine zu Rush of Green, der Monumentalskulptur von Jacob Epstein am Eingang des Hyde Parks. Als junger Künstler hatte Neville Epstein persönlich gekannt, und Madeleine konnte sich an den Geschichten über den alten Meister nicht satt hören. Besonders hatte es ihr die angetan, dass er sich an seinem Todestag beeilte, »Rush of Green« noch zu vollenden. Für Madeleine war der Tod des Künstlers mit dem Leben der Skulptur verknüpft, mit den langgliedrigen Figuren auf der Flucht vor dem hinter ihnen herhetzenden Pan. Doch als sie heute Epsteins Meisterwerk betrachtete, setzte ihr Herz einen Schlag lang aus. Sie entdeckte darin eine weitere Bedeutung, erkannte eine zusätzliche Ebene, auf die ihre Mutter sie hingewiesen hatte: dass man um sein Leben rennen musste.
Nun war es Elizabeth, die Madeleine am Arm zog. Ihre Stiefmutter hatte mehr als genug von der Kunst und den Künstlern. »Wir haben uns dieses monströse Ding schon tausendmal angesehen«, maulte sie. »Gehen wir um Himmels willen weiter.«
Sie überquerten die Straße und betraten den Park. Ganz London hatte dieselbe Idee gehabt. Auf allen Wegen drängten sich Familien, Kleinkinder, angeleinte Hunde, Rollschuhläufer und Radfahrer. Auf dem sandigen Reitweg um den mit Ruderbooten übersäten See, in dem bejahrte Schwimmer dem kalten, dunklen Wasser trotzten, trabten Reiter und Reiterinnen auf eleganten Pferden auf und ab.
Der kleine Terrier übernahm die Führung und zog sie geradewegs in Richtung der Bäume. Sie bahnten sich einen Weg zwischen den Picknickdecken und den Liebenden, die im Gras lagen und sich küssten. Aus Angst, der Hund könnte sein Beinchen an
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