Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
bereit, den Rest meines Lebens damit zu verbringen, einen unverschämten, anspruchsvollen Invaliden zu hätscheln. Ich würde an Depression zugrunde gehen.« Sie sah plötzlich alt und faltig aus. »Bitte, Madeleine, kannst du das verstehen? Wir hatten viele gute Jahre miteinander, und ich glaube, ich habe ihn glücklich gemacht, aber ich war immer die Muse, die Frau, auf die er sich stützte und die im Schatten blieb. Es war mir egal. Aber jetzt weitermachen … seine Pflegerin, seine Betreuerin und sein Mädchen für alles in dieser neuen Phase sein, nein, das will ich nicht. Ich habe jetzt schon genug, und die wahren Schwierigkeiten haben noch nicht einmal begonnen. Ich bin erst zweiundfünfzig …«
Sie hielt inne, und die beiden Frauen starrten einander an.
»Aber Elizabeth …«
»Bitte, nein! Ich weiß, dass er am Boden zerstört sein wird, aber ich kann es nicht länger ertragen. Ich sage es dir am besten gleich: Niemand kann mich dazu bringen, meine Meinung zu ändern, also versuch erst gar nicht, mich umzustimmen.«
»Willst du damit sagen, dass du es ihm noch nicht gesagt hast?«
Elizabeth sah sie flehend an. »Machst du das für mich?«
»Ich?«, rief Madeleine aus. »Auf gar keinen Fall. Es ist deine Entscheidung. Die musst du ihm selbst mitteilen … und zwar bald.«
»Ich fahre am Mittwoch in die Schweiz, um meine Schwester zu besuchen, und danach kehre ich nicht mehr in unsere Wohnung zurück.«
Kopfschüttelnd und wütend sah Madeleine ihre Stiefmutter an. »Mein Gott, Liz. Einfach so? Und du hast ihm noch nichts gesagt?«
»Ich werde nicht viel von ihm verlangen«, wehrte diese ab, als ginge es hauptsächlich um Geld. »Er hat im Laufe der Jahre viel für mich angelegt.«
Brutus gefiel der Ton ihrer Stimmen nicht. Wieder und wieder drehte er sich um, sah sie an und ließ bestürzt seinen kleinen Kopf hängen. Sie gingen einen Augenblick schweigend nebeneinander her. Der Nachmittag näherte sich seinem Ende, und die Sonne ging unter, aber der Frühling lag in der Luft. Elizabeth zog ein zerknittertes Papiertaschentuch aus der Tasche und tupfte ein paar Tränen weg.
»Und was wird er deiner Meinung nach tun?«, fragte Madeleine schließlich.
»Ich weiß es nicht.« Elizabeths Stimme war wieder eigentümlich hart. »Du musst darüber nachdenken. Ich meine, du könntest nach London ziehen.«
»Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Was für ein Vorschlag! Und was ist mit meiner Praxis? Und mit Rosaria? Auf die muss ich auch Rücksicht nehmen.«
Ohne nachzudenken, hatten sie kehrtgemacht und gingen nun den Weg zurück, den sie gekommen waren. Elizabeth unterbrach Madeleines Gedanken. »Hilfe im Haushalt, eine Schwester vielleicht, ich weiß es nicht. Es gibt übrigens jede Menge junger Frauen, Künstlergroupies, die nichts gegen einen reichen alten Meister von gesellschaftlichem Rang hätten. Er wird schon jemanden finden. Er besitzt Millionen, und wenn er die aufgebraucht hat, ist da noch die Wohnung.«
Künstlergroupies! Madeleine hätte ihre Stiefmutter am liebsten geohrfeigt. Wie konnte sie nur? Wie konnte sich jemand von einer liebenden Ehefrau in eine mitleidlose Fremde verwandeln? »Hör zu«, sagte Madeleine leise. »Mach, was du willst. Aber sprich mit Neville darüber, und zwar bald. Du musst ihm helfen, eine Lösung zu finden. Das bist du ihm ganz einfach schuldig.«
Das Erste, was sie hörten, als sie die Wohnungstür öffneten, war ein langes Rumpeln, das den Boden zu erschüttern schien, gefolgt von Schnarchen und Grunzen.
»Er schläft«, seufzte Elizabeth. »Das war nicht seine erste Flasche heute.«
»Erstaunt dich das?«, fragte Madeleine eisig.
»Um ehrlich zu sein – du solltest jetzt gehen. Wie du gesagt hast, der Verkehr ist entsetzlich, und er wird keine gute Laune haben, wenn er aufwacht. Denke über meine Worte nach. Du bist seine Tochter …«
Madeleine blieb stehen, um ihren Vater zu betrachten. Er lag in seinem Sessel und schlief tief und fest. Sein Mund stand offen, doch obwohl er ein wuchtiger Mann war, sah er genauso geschrumpft und Mitleid erregend aus wie die Frau, die er vor vielen Jahren verlassen hatte. Trotz seines Reichtums, seiner Leistungen und der großartigen Frau, die Rosaria abgelöst hatte, würde er genauso allein und verlassen enden wie diese. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, dachte sie bitter.
Ein Bild blitzte vor ihr auf, wie sie sich selbst unerbittlich dem Alter und einer ähnlichen Einsamkeit näherte. Sie
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